Klimakiller verbieten?
Wie hängt die Klimakrise mit unserer Marktwirtschaft zusammen? Wachstum und Nachhaltigkeit schließen sich bislang weitgehend aus. Es geht aber beides, und dafür sind jetzt Verbote fällig, meint der Bundesvorsitzende der Grünen Robert Habeck im Interview mit uniCROSS. (Das Interview wurde vor dem Corona-Lockdown im Januar 2020 geführt).
Außerdem sprachen Charlotte und Thomas mit Robert Habeck darüber, wie Politik Vertrauen in der Gesellschaft schaffen kann für die notwenigen Entscheidungen in einer sich immer schneller verändernden Welt.
QR-Code scannen, um das Video zuhause anzusehen
Interview mit Robert Habeck zum Nachhören
Herr Habeck, glauben Sie, dass sich die großen Umweltprobleme unserer Zeit innerhalb unseres Wirtschaftssystems lösen lassen? Einfach durch Regulierungen oder durch Innovationen?
Habeck: Mit dem System, wie es bisher läuft, sicherlich nicht. Die Umweltkatastrophe, auf die wir zusteuern, die Klimakatastrophe, ist das größte Marktversagen, das wir bisher erlebt haben. Die Märkte produzieren in die falsche Richtung. Ich würde trotzdem nicht sagen, alle Prinzipien der Marktwirtschaft müssen jetzt über Bord geworfen werden. Was kommt dann? Wohl Planwirtschaft, und das würde bedeuten, eine Regierung, ein Präsident, ein Kanzler weiß alles besser – und das funktioniert auch nicht. Ich glaube, wir brauchen – das ist ja die Stärke eines freien Marktes – jede Idee, die gesamte Kreativität, quasi die Schwarmintelligenz der Bevölkerung. Und dann brauchen wir Regeln, sodass sich die richtigen Ideen durchsetzen. Diese Regeln müssen neu gefunden werden, und darüber streitet Politik eigentlich.
Bei den Grünen heißt es statt einfach nur Wachstum wollen sie grünes Wachstum haben. Kann es denn ein dauerhaftes Wachstum überhaupt geben, wenn wir nachhaltig sein müssen?
Habeck: Wenn es Wachstum gibt, muss es grün sein. Also Wachstum ist kein Zweck in sich selbst. Was wir nicht fordern sollten, ist das Schrumpfen, also Zerstören der Ökonomie. Das würde dann letztlich zu gefährlichen Forderungen führen, beispielsweise Geburtenkontrolle: Wir reduzieren die Bevölkerung, weil wir dadurch das Wachstum brechen können, was zwar logisch richtig ist, politisch aber auf eine völlig schiefe Bahn führt. Weniger Bildung wäre wahrscheinlich super, um das Wachstum zu reduzieren. Wir schließen die Hälfte der deutschen Universitäten, oder die Hälfte der Bevölkerung hat keinen Zugang zu höherer Bildung, das würde wahrscheinlich das Wachstum brechen und damit vermutlich gut fürs Klima sein. Dann würden wir aber eine fürchterlich unfreie Gesellschaft werden.
Umgekehrt zu sagen: Wachstum in sich selbst ist gut, egal wie es aussieht, ist auch völlig verrückt. Wir müssen Prozesse gestalten, die der Gesellschaft dienen, die der Umwelt dienen, die die Lebenszufriedenheit erhöhen. Das wird auf jeden Fall zu Veränderungen führen und im Zweifelsfall, je nachdem, wie man Wachstum misst, meinetwegen auch zu Wachstum. Aber Wachstum ist kein Selbstzweck mehr.
Wie ist das konkret gemeint?
Habeck: Im Moment wird Wachstum quasi blind gemessen. Die Summe aller verkauften Güter und Dienstleistungen macht in der Summe die Zahl für unser Wachstum aus, mit teilweise absurden Verschiebungen. Also Krankheiten sind nach dieser Rechnung gut fürs Wachstum. Umweltschäden, Asthma, Allergien und so weiter sind gut fürs Wachstum, weil die ja behandelt werden müssen. Was also Umsatz im Krankenhaus und den Verkauf von Medikamenten verursacht, ist super fürs Wachstum. Das macht aber natürlich überhaupt keinen Sinn für Lebenszufriedenheit und den Zustand einer Gesellschaft!
Eine unfallträchtige Straße ist besser fürs Wachstum als eine unfallarme Straße. Warum? Weil die Autos kaputtgefahren werden. Sie müssen neu verkauft werden. Die Leute müssen auch ins Krankenhaus gebracht werden. Wenn es ganz hart kommt, müssen Särge gebaut werden. Särge sind gut fürs Wachstum. Das ist Wahnsinn.
Wir müssen die Kriterien ändern, die Spielregeln ändern. Aber so, dass Leute, die mit einer guten Idee von der Uni kommen, diese Idee ausleben können. Genau das brauchen wir, wir brauchen neue Prozesse, wir brauchen neue Materialien, wir brauchen neue Konsumgewohnheiten, wir müssen Mobilität anders organisieren. Und wenn jetzt irgendjemand von euren Kommilitonen die super Idee hat, wie man sich frei in Freiburg oder im Breisgau bewegen kann, ohne ein eigenes Auto zu haben, und daraus wird ein Geschäftsmodell, und die Leute, die da arbeiten, verdienen gute Löhne, dann ist das gutes Wachstum. So ist es gemeint.
Wie wollen die Grünen für Veränderungen und für unpopuläre Entscheidungen, wie zum Beispiel Verbote, Vertrauen in der Gesellschaft gewinnen?
Habeck: Ja, vielleicht indem man es größer macht und mal darauf hinweist, dass diese Verbotsdebatte einen im Grunde überfordert. Wir haben Verbote allüberall in Deutschland, in Freiburg, überall wo die Straßenverkehrsordnung herrscht, besteht ein einziges Sammelsurium aus Verboten, wo man parken darf, wo man nicht parken darf, wie schnell man fahren darf, in Ortschaften oder auch außerhalb der Ortschaften. Rechts vor links ist ein Verbot. Wir haben das Bürgerliche Gesetzbuch, dass du nicht klauen sollst, dass du Leute nicht niederschlagen darfst, Tabus, dass Briefe nicht geöffnet werden dürfen. Alles Verbote.
Und wir haben jede Menge von guten Umweltverboten. Also FCKWs aus den Kühlschränken raus und aus den Sprühdosen raus hat das Ozonloch weitestgehend geschlossen. Es ist verboten, Abwasser in die Flüsse zu leiten. Es ist verboten, die Kloake direkt in die Meere zu führen. Und dadurch sind die Flüsse und Meere sauberer geworden. Also niemand würde ernsthaft in Frage stellen, dass das schlechte Verbote sind.
Und jetzt sind wir in einer Phase, wo neue Verbote oder neue Regeln gemacht werden müssen. Wichtig ist, dass diese Regulatorik auf der politischen Ebene ansetzt, weil solche Regeln letztlich alle betreffen. Und wenn wir das nicht tun würden, würde gerade im Umweltbereich irgendwann Mobilität, Ernährung, Reiseverhalten nur noch sehr Reichen zur Verfügung stehen.
Also wollen Sie eine stärkere Ordnungspolitik. Mit unpopulären Entscheidungen durch Verbote wie etwa, dass Elektroautos ab 2030 quasi die Norm sein sollen. Wie konsequent werden Sie denn Ihre Politik durchziehen? Das wird Sie doch Wählerstimmen kosten!
Habeck: Ja, das wird man sehen. Ich glaube aber, im Moment erwarten die Menschen, dass politische Antworten gegeben werden, die auf die Probleme unserer Zeit passen. Wenn diese Antworten nicht gegeben werden, dann kostet es
Vertrauen in die Leistungsfähigkeit von Demokratie und wahrscheinlich auch Wählerstimmen. Wir müssen uns mit den Problemen der Wirklichkeit beschäftigen und uns trauen, darauf die entsprechenden Antworten zu geben.
Insofern ist das Beispiel mit der Automobilindustrie eigentlich ganz gut: Wenn wir Mitte des Jahrhunderts klimaneutral sein wollen, dann müssen wir um 2030 herum aufhören, Verbrennungsmotoren zuzulassen. Warum? Weil Autos ungefähr 15 Jahre gefahren werden. Dann muss ja irgendwo der Punkt sein, wo wir sagen: „Jetzt mal Schluss mit der Zulassung.“ Und 2017 im Bundestagswahlkampf sind wir verdroschen worden dafür und haben nur auf die Mütze gekriegt. Die Grünen eine Verbotspartei! „Die wollen uns die Freude am Fahren nehmen“ und so weiter.
Wenn man aber heute mit der Automobilindustrie redet, mit den Chefs von VW, Mercedes Benz, Daimler, BMW und so weiter, sagen die alle: „Wir wollen 2030 so 50 oder 60 Prozent des Absatzes unserer Autos klimaneutral haben.“ Und wenn man die fragt, wer soll denn dann die anderen Autos kaufen? dann sagen die: „Ja, in Deutschland keiner mehr und in den Niederlanden und in Frankreich auch nicht. Natürlich, da werden wir nur noch klimaneutrale Autos verkaufen. Aber wir sind ein Weltkonzern. Wir müssen auch in der Ukraine, in der Türkei, im Mittleren Westen, der USA Autos verkaufen können. Für die bauen wir diese Autos.“
Also, in den zwei Jahren zwischen 2017 und 2019 haben die Konzerne selbst ihre Pläne, bis 2030 nahezu vollständig elektrische Mobilität zu verkaufen, ausgerichtet. Ich glaube, in zwei Jahren werden sich die dafür verteidigen müssen, die nicht sagen, 2030 ist Schluss mit dem Verbrennungsmotor, weil die Industrie inzwischen selbst erwartet, dass die Politik die Infrastruktur entsprechend ihrer Pläne ausbaut. Also da ist mir gar nicht bange vor der Debatte.
Sie haben jetzt viel über Veränderung gesprochen, aber Veränderung braucht eben auch Rückhalt in der Gesellschaft. Was hält denn unsere Gesellschaft eigentlich noch zusammen?
Habeck: Ich glaube, noch hält die Gesellschaft gut zusammen. Es gibt eine große Mehrheit, die in die freiheitlich demokratische Grundordnung vertraut. Ich kenne die Umfragen, die immer sagen, man darf in Deutschland seine Meinung sagen und wie gut die Demokratie ist. Aber richtig ist auch, dass der Zusammenhalt extrem unter Druck geraten ist. Ich glaube, es liegt daran, dass Menschen spüren, dass Dinge sich ändern und dass die Politik scheinbar nicht in der Lage ist, diese Änderung zu gestalten. Es ist eine politische Aufgabe, das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit von freiheitlicher Demokratie und Rechtsordnung herzustellen. Und das ist das beste Mittel, Totalitarismus und faschistischen Ideologien eine Absage zu erteilen.
Wie wollen Sie das schaffen? Jetzt kam von Allensbach gerade eine Umfrage raus, dass das Grundvertrauen der Deutschen in das politische System wieder stark gesunken ist.
Habeck: Ja, dass es so ist, das weiß ich. Aber noch nicht so schlimm, dass man Angst haben muss, dass uns das Gemeinwesen auseinanderfliegt. Wir müssen Antworten finden auf die Veränderungen der Zeit! Die meisten Menschen spüren, wie sich Kommunikation, wie sich Arbeit, wie sich Leben, wie sich die gesellschaftliche Identität verändert. Aber die politischen Instrumente, auch die Regierungskonstellationen, sind immer gleich. Im Grunde ist das Schicksal der Großen Koalition und der Union und der SPD ja, dass sie die Fortsetzung des ewig Gleichen sind.
Also, alles verändert sich. Wir kommunizieren völlig anders. Wir finden unsere Wege in den Städten, auf dem Handy – nicht mehr auf den Faltkarten wie früher. Wir spüren die Veränderung überall, aber die Regierung ist immer die gleiche. Da sagen die Leute zu Recht, das kann irgendwie nicht richtig sein.
Wir müssen uns trauen, Veränderungen zu bejahen. Die Politik muss in der Lage sein, zu erklären, dass sie über die Veränderungen Halt, Stabilität, Sicherheit, Vertrauen in Gestaltungsfähigkeit hergestellt wird – aber nur über die Veränderung. Das Ablehnen davon führt immer stärker zu einer größeren Porosität. Und ich glaube, wir müssen erklären können, dass die ganzen Wenden, die Agrarwende, Energiewende, Verkehrswende und so weiter, nicht dazu da sind, dass die Menschen noch weiter wuschig gemacht werden. Die Politik muss zeigen, dass sie in der Lage ist, diese Dinge zu regeln, also „show don’t tell“. Am Ende muss Politik beweisen, dass sie auf die großen Fragen der Zeit Antworten hat. Und das ist das beste Mittel, Vertrauen in die Demokratie herzustellen.
Herr Habeck, vielen Dank für das Interview.
Autor*innen: Thomas Hermanns und Charlotte Weinreich
Das Interview mit Robert Habeck wurde im Spätsommer 2019 geführt.