Geschlecht ’68

In der Erinnerung an 1968 stehen bis heute meist schillernde männliche Persönlichkeiten wie Rudi Dutschke und Rainer Langhans im Fokus. Diese einseitige Perspektive versperrt nicht nur den Blick auf die tatsächlichen Inhalte der Bewegung, sondern auch auf eine weibliche Perspektive von ’68. Wo waren die Frauen? Stehen sie nur nicht an vorderster Front oder vollzog sich die weibliche Bewegung im Privaten? Christina von Hodenberg kommt in ihrem Buch „Das andere Achtundsechzig“[1] zu dem Ergebnis: „’68 war weiblich“. Die Bewegung wurde nicht nur in gleichem Maße von Frauen wie Männern getragen, sondern bleibende Errungenschaften der Studentenbewegung wurden hauptsächlich von dem ‚weiblichen Achtundsechzig‘ vorangetrieben. Hodenberg stellt fest, dass Achtundsechzig sowohl von Zeitgenossen als auch von Histroriker*innen aus einer männlichen Perspektive betrachtet wird, was zwangsweise zur Marginalisierung des weiblichen Achtundsechzig führt. [2]

 

Im Folgenden soll mit dem Blick auf Frauen auch ein neuer Fokus auf die Achtundsechziger-Bewegung in Freiburg geworfen werden, denn die Erinnerung sowie die mediale Debatte um Achtundsechzig ist auch für Freiburg eine männlich geprägte. Welche Rolle nahmen Studentinnen in der Bewegung ein und inwieweit kann man in Freiburg von einem ‚weiblichen Achtundsechzig‘ sprechen?

 

Anmerkung: Unsere Ausführungen beziehen sich im Folgenden unter anderem auf Interviews mit Frauen, die in den Jahren 1968 und 1969 in Freiburg studierten. Sie spiegeln damit persönliche und individuelle Erfahrungen wieder, denen nicht notwendig Allgemeingültigkeit beigemessen werden kann. Wir sind uns bewusst, dass „1968“ von verschiedenen Personen durchaus unterschiedlich erlebt und wahrgenommen wurde und wir in diesem Rahmen nicht alle Perspektiven beleuchten konnten. Nichtsdestotrotz sind wir froh über Anmerkungen zu unserem Artikel.

 

 

Anmerkungen

[1] Hodenberg, Christina von: Das andere Achtundsechzig. Gesellschaftsgeschichte einer Revolte, München 2018, S. 108.

[2] Vgl. Vgl. Hodenberg: Das andere Achtundsechzig, S. 108.

Studentinnen an der Universität Freiburg

„Freiburg – Universität der Frauen“ titelte der Schwarzwälder Bote am 04. Juli 1958 anlässlich eines Studentinnenanteils von 32 Prozent an der Albert-Ludwigs-Universität. Schon seit Jahren weise die Freiburger Universität mit 28 bis 29 Prozent den höchsten Frauenanteil unter den deutschen Universitäten auf, in diesem Sommersemester habe sie jedoch „ihren eigenen Rekord gebrochen“.[1]

Mit dieser Karikatur unterstreicht die Autorin der FSZ, wie unfreundlich sie als Studentin von mehreren Vermieterinnen abgewiesen worden sei, siehe FSZ 3 (1967), S. 16.

In der Wahrnehmung von Ursula Schäfer-Preuss hätten sich Studentinnen auch gegenüber Dozenten an der Universität besonders beweisen müssen: „In der Universität, da war nun klar, man musste als Frau schon mehr leisten, das war zumindest meine Perzeption. Bei den Prüfungen und den Professoren, wenn da eine Studentin nicht so gut war […] dann wurde der Professor richtig ungnädig […], also da merkte man schon, man muss mehr tun“.[12] Nichtsdestotrotz fühlten sie sich wie viele der Freiburger Studentinnen an der Universität gleichberechtigt: „Während des Studiums, denke ich, […] gabs in dem Sinne keine Diskriminierung“.[13]

Einen Unterschied zu ihren männlichen Kommilitonen heben die interviewten Frauen jedoch beinahe alle hervor. Margret Böhme erinnert sich: „[A]n der Uni selbst, da waren die Frauen ziemlich ruhig, da haben die Männer den Ton angegeben“.[14] Ganz ähnliche Erfahrungen machte Ursula Geneuss, die wie Böhme in den 1960er Jahren VWL in Freiburg studierte: „Wenn jemand im Seminar was gesagt hat, warens eher die Männer“.[15]

Es gab aber auch einige Frauen an der Universität Freiburg, die sich aktiv in den verschiedenen Organisationen der studentischen Selbstverwaltung engagierten. Die allgemeinen Wahlzeitungen zu den Studentenratswahlen belegen, dass auch Studentinnen in diesem Gremium aktiv die Hochschulpolitik mitgestalteten. So stellten sich im Juni 1968 neun Frauen zur Wahl und zwar relativ gleichmäßig verteilt auf die verschiedenen Hochschulgruppen. Allein die Liste der linken Hochschulgruppen führte keine weibliche Kandidatin. Dennoch blieben die neun Studentinnen gegenüber den 38 Kandidaten männlichen Geschlechts deutlich in der Unterzahl.[16] Ein vergleichbares Bild ergibt sich für die Studentenratswahlen vom Februar 1968 und Januar 1969.[17]

Mit Blick auf die Wahlzeitungen fällt auf, dass die Kandidatinnen sich in vielen Fällen nicht nur in den Hochschulgruppen und im Studentenrat, sondern auch in anderen studentischen Gremien und Einrichtungen engagierten. Beispielsweise war Helga Heeren, die sich im Juni 1968 für die Liste unabhängiger Studenten (LUST) zur Wahl stellte, gleichzeitig als Fachschaftsleiterin für den Bereich Jura tätig. Adelheid Reichling, die für die Liste des SDS kandidierte, war auch Chefredakteurin der Freiburger Studentenzeitung und damit Vorsteherin „eines wichtigen Sprechrohres in Sachen Hochschulpolitik“.[18] Ihre Mitstreiterin Irmgard Woll wird als AStA-Politikreferentin des Wintersemesters 67/68 und als Geschäftsführerin der FSZ aufgeführt.

Anmerkungen

[1] Schwarzwälder Bote, 4.07.1958, Nr. 150, UAF B1/2003.

[2] Vgl. die Berichte des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg zu den Studierenden an den Wissenschaftlichen Hochschulen sowie Kunst- und Musikhochschulen im Wintersemester 1968/69, online verfügbar unter: https://www.destatis.de/GPStatistik/servlets/MCRFileNodeServlet/BWHeft_derivate_00003778/BIII_jWS68_69.pdf (letzter Zugriff: 29.09.2018).

[3] Je nach sozialem und familiärem Hintergrund gab es große Unterschiede hinsichtlich der Studiermöglichkeit von Frauen. Der Studentinnenanteil varierte auch je nach Studienfach und -abschluss.

[4] Interview Gesche Ahlers, Juli 2016: ab 1:40 bis 2:15 min.

[5] Interview Gesche Ahlers, Juli 2016: ab 1:48 bis 1:59 min.

[6] Interview Dr. Ursula Schäfer-Preuss, Juli 2016: ab 1:07:18 bis 1:07:48 min.

[7] Scherb, Ute (1996), „Für Studierende mit Kind: Kita und Krabbelstube“, in: „…und freitags gibt es Milchreis.“ 75 Jahre Studentenwerk Freiburg, Freiburg, S. 43–49, hier S. 43.

[8]Scherb, Ute (2002), „Ich stehe in der Sonne und fühle, wie meine Flügel wachsen“. Studentinnen und Wissenschaftlerinnen an der Freiburger Universität von 1900 bis in die Gegenwart, Königstein, S. 285.

[9] Gruppeninterview: Margret Böhme, Juli 2016: ab 12:35 bis 13:23 min.

[10] Artikel Befreit die Kinder, in: FSZ 5 (1969), S. 1+6.[11] Artikel Studentin sucht möbliertes Zimmer, in: FSZ 3 (1967), S. 13+16.[12] Gruppeninterview: Dr. Ursula Schäfer-Preuss, Juli 2016: ab 52:49 bis 53:36 min.[13] Interview Dr. Ursula Schäfer-Preuss, Juli 2016: ab 16:50 bis 16:58 min.[14] Gruppeninterview: Margret Böhme, Juli 2016: ab 07:30 bis 7: 40 min.[15] Interview Ursula Geneuss, Juli 2016: ab 7:56 bis 8:00 min.[16] Allgemeine Wahlzeitung zur Studentenratswal vom 29. Januar bis 2. Februar 1968, hrsg. v. AStA der Albert-Ludwigs-Universität, UAF B47/274.[17] Vgl. Wahlzeitungen zu den Studentenratswahlen vom Februar 1968 und Januar 1969, hrsg. v. AStA der Albert-Ludwigs-Universität, UAF B47/274.[18] So heißt es in der 26. Ausgabe der „Informationen für Dozenten und Studenten der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau“, welche am 17.12.1962 erschien. Vgl. Artikel Gesucht: FSZ-Chefredakteur, S. 1, UAF B47/258.

Studentinnen in den Protesten von „1968“

An den Protestaktionen, die in den Jahren 1968 und 1969 in Freiburg stattfanden, waren selbstverständlich auch Studentinnen beteiligt. Wie Ute Scherb anmerkt, gestaltet sich die Spurensuche nach Frauen in den schriftlichen Dokumenten zur Studentenbewegung jedoch oft schwierig, da Studentinnen stets unter den Begriff „Studenten“ subsumiert und somit quasi unsichtbar wurden. Auf Fotos sei hingegen gut zu erkennen, dass bei den Aktionen „immer auch Studentinnen in ‚vorderster Front‘“ dabei waren.[1] Dies gilt beispielsweise für die Bilder, die anlässlich der Fahrpreisdemonstrationen aufgenommen wurden. So zeigt nebenstehendes Foto, das am 09. Februar 1968 in der Badischen Zeitung abgedruckt wurde, wie eine Demonstrantin Blumen an die Polizisten verteilt, welche die Proteste aufzulösen versuchten.

Von den zahlreichen Frauen, die an den Protesten in Freiburg teilnahmen, waren einige auch im SDS aktiv. Andrea Wienhaus geht in Bezug auf die FU Berlin von einem Frauenanteil  von einem Viertel im SDS aus.[2] Für Freiburg kann eine ähnliche Geschlechterverteilung im SDS vermutet werden. Eine ehemalige Freiburger Studentin berichtet, sie sei durch den Tod von Benno Ohnesorg im Juni 1967 „aufgeschreckt“ worden. Seit diesem Zeitpunkt sei sie regelmäßig zu den Versammlungen des SDS gegangen. Dort habe sie sich sowohl für gesamtgesellschaftliche als hochschulpolitische Veränderungen wie die Einführung der Drittelparität eingesetzt. Doch habe sie auch einiges im SDS kritisch gesehen. Besonders gestört habe sie der starke Theoriebezug der Diskussionen. Diese „Theoretisiererei“ schreibt sie v.a. den männlichen Mitgliedern des SDS zu, wie sich auch generell hauptsächlich Männer in den Versammlungen und bei den Protestaktionen zu Wort gemeldet hätten. Sie könne sich nicht erinnern, dass Frauen in den öffentlichen Diskussionen überhaupt gesprochen hätten. Es scheint demnach, als seien die Studentinnen, die sich durchaus in den Protesten und im SDS engagierten, selten öffentlich als Wortführerinnen aufgetreten.

Man wird den Ereignissen von „1968“ jedoch nicht gerecht, fokussiert man sich, wie es in der Forschung und in der populären Erinnerung häufig geschieht, ausschließlich auf das Agieren der APO und des SDS.[3] Auch andere studentische Gruppierungen wie beispielsweise der AStA, einzelne Fachschaften und andere politische Hochschulgruppen, aber auch Studierende und Nichtstudierende, die sich keiner bestimmten Organisation zuordneten, waren wichtige Bestandteile der Proteste. Und auch hier waren Studentinnen aktiv wie sich bereits an den Wahlverzeichnissen zur Studentenratswahl zeigte. Hochschulpolitisch engagierte sich z.B. Helga Maß, Studentin der Anglistik und Romanistik, die im folgenden Videoausschnitt von ihrem Studium in Freiburg und ihrer Tätigkeit in der Fachschaft berichtet:

Sie kritisiert, dass viele Studierende sich nicht für hochschul- und gesellschaftspolitische Probleme interessieren würden. Es gab in Freiburg, wie an anderen Universitäten auch, zahlreiche männliche wie weibliche Studierende, die sich nicht in den Protesten engagierten. Beispielsweise erinnert sich Gesche Ahlers, die Studentenbewegung der Jahre 1968/69 und ihre Akteure zwar „mit einer gewissen Neugierde zur Kenntnis genommen“ zu haben, so z.B. die neu entstandenen Wohngemeinschaften, sich aber nicht weiter darauf eingelassen und sich weitestgehend passiv verhalten zu haben.[4] Für die Nichtbeteiligung an den Protesten konnte es verschiedene Gründe geben. Regine Stefani, die zu dieser Zeit VWL in Freiburg studierte, erklärt: „Ja, einmal im Audimax war ich dabei, […] da sollte [eine] Diskussion stattfinden […] und dann ging es zwei Stunden, [da] haben die verschiedenen Organisationen, die da sprechen sollten, sich zerhackt, wer, wann, zu welcher Zeit und ob und ja und nein und da ich da schon wirklich Examensvorbereitung hatte hab ich gedacht, ne das wars und dann hab ich mich da gar nicht mehr drum gekümmert“.[5] Sie konnte sich einerseits mit den Inhalten der Proteste und der Diskussionskultur nicht wirklich identifizieren, führt aber andererseits auch einen sehr praktischen Grund an, nämlich kurz vor ihrem Abschluss zu sehr mit Lernen eingespannt gewesen zu sein als sich auf die Geschehnisse einlassen zu können.

Ursula Geneuss konnte die Forderungen der Protestler zwar zum Teil nachvollziehen, lehnte aber Protestformen wie das Sprengen von Vorlesungen und Seminaren ab: „In den Hörsälen selber empfand ich das eigentlich auch als zu provokant, das war wirklich unangenehm, […] auch wenn vielleicht manchmal durchaus ne Berechtigung dahinterstand“.[6] Auch Margret Böhme empfand das Verhalten gegenüber den Dozierenden als zu radikal: „[D]ie Profs sind zum Teil zitternd und weinend aus dem Hörsaal“.[7] Obwohl sie selbst an einigen politischen Aktionen teilgenommen hatte, distanziert sie sich von der Störung der Lehrveranstalten ausdrücklich: „Also da war ich nicht dabei!“ [8]

Es zeigt sich, dass die Freiburger Studentinnen wie die gesamte Studierendenschaft nicht als homogene Gruppe zu verstehen sind. Es gab auf der einen Seite Frauen, die sich aus sehr unterschiedlichen Gründen nicht an den Protesten der Jahre 1968/69 beteiligten, selbst wenn sie mit diesen sympathisierten. Gleichzeitig waren viele Studentinnen ebenso selbstverständlich Teil der Studentenbewegung wie ihre männlichen Kommilitonen, wenn vielleicht auch weniger lautstark. Unter diesem Aspekt ist folglich der These Christina von Hodenbergs, „Achtundsechzig war weiblich“ für Freiburg völlig zuzustimmen, aber um den Zusatz „auch“ zu ergänzen. Doch gründet Hodenberg ihre Aussage nicht allein auf die Tatsache, dass auch Frauen zur Studentenbewegung der Jahre 1968/69 gehörten. Vielmehr seien zu dieser Zeit in vielen Städten erste feministische Frauengruppen entstanden, die geschlechterspezifische Themen in die Diskussion einbrachten und als Beginn der neuen Frauenbewegung weitreichende gesellschaftliche und politische Veränderungen einläuteten.

Inwieweit diese These auch für das Freiburger „68“ tragbar ist, bleibt im Folgenden zu untersuchen.

Anmerkungen

[1] Scherb, „Ich stehe in der Sonne“, S. 282–283.

[2] Vgl. Wienhaus, Andrea (2014), Bildungswege zu „1968“. Eine Kollektivbiographie des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, Bielefeld, S. 102.[3] Interview Barbara Volhard am 01.06.2018: ab 28:50 bis 29:28 min.[4] Interview Barbara Volhard am 01.06.2018: ab 30:41 bis 32:10 min.[5] Interview Barbara Volhard am 01.06.2018: ab 1:03:32 bis 1:03:42 min.[6] Interview Barbara Volhard am 01.06.2018: ab 1:02:10 bis 1:02:22 min.[7] Vgl. Hodenberg, Christina von (2018), Das andere Achtundsechzig. Gesellschaftsgeschichte einer Revolte, München, S. 107.[8] Interview Gesche Ahlers, Juli 2016: ab 50:30 bis 51:38 min.[9] Gruppeninterview: Dr. Regine Stefani, Juli 2016: ab 42:04 bis 42:50 min.[10] Gruppeninterview: Ursula Geneuss, Juli 2016: ab 47:14 bis 47:36 min.[11] Gruppeninterview: Margret Böhme, Juli 2016: ab 46:24 bis 47:00 min.[12] Gruppeninterview: Margret Böhme, Juli 2016: ab 47:09 bis 47:10 min.

„Geschlecht“ als diskutierte Kategorie der Proteste in Freiburg?

Christina von Hodenberg stellt für die Städte Bonn, Berlin und Frankfurt fest, dass Frauen nicht nur an den Protesten beteiligt waren, sondern auch die Geschlechterverhältnisse und die gesellschaftlichen Situationen der Frauen zu einem Thema der Proteste machten. Der Beginn der sogenannten Neuen Frauenbewegung nahm hier ihren Ausgang. Im Gegensatz zu den theoretischen, politischen Diskussionen des männlichen Achtundsechzig waren die Themen des weiblichen Achtundsechzig mit der Lebensrealität der Frauen verbunden. [1] Die Machtverhältnisse in Beziehungen, Kinderfrage, Geschlechterrollen, familiäre Hierarchien und die Frage der beruflichen Gleichberechtigung waren zentrale Punkte der Diskussion. [2]

„Das Private ist politisch“ – mit dieser Aussage wollten die Frauen auch Geschlechterrollen verändern. Die Entstehung der Neuen Frauenbewegung im Gefolge von `68 kann als langfristiger Erfolg der Studentenbewegung angesehen werden, während von der politischen Revolution der Männer nicht viel übriggeblieben ist. Die Männer von Achtundsechzig konstruierten „durch Einschreibung in die mediale Debatte einen Generationsmythos“ [3], während die Frauen von Achtundsechzig durch ihr Handeln die Verhältnisse langfristig änderten. Doch wie sah das Geschlecht von 1968 in Freiburg aus? Können die Entwicklungen in Bonn, Berlin und Frankfurt auch auf Freiburg übertragen werden? Und vor allem: Inwieweit wurden geschlechterspezifische Themen in Freiburg diskutiert? Um diesen Fragen nachzugehen, gilt es, die Protagonistinnen des weiblichen Achtundsechzig in Freiburg auszumachen.

Eine weitere, der in der Freiburger Studentenbewegung aktiven Frauen, erinnert sich, dass das Mann-Frau-Verhältnis damals immer noch so gewesen sei, dass Frauen es gewöhnt waren, dass sie einfach nicht so zählten, wie die Männer. Sie sei mit dem Gefühl aufgewachsen, dass Frauen weniger Wert wären. Die Benachteiligung von Studentinnen zeigte sich auf vielen Ebenen, angefangen mit der Wohnsituation, über die Zurücksetzung durch Professoren bis hin zur Kommunikation in Lehrveranstaltungen oder auf politischen Versammlungen. In der Universität begegneten sich Männer und Frauen nicht auf Augenhöhe. Männer wurden als Leute, die ständig in einem Wissenschaftsjargon sprachen, wahrgenommen. Während die Männer Theorien austauschten, kamen die Frauen nicht zur Sprache, daran erinnert sich eine weitere Studentin aus Freiburg und berichtet, sie habe sich kaum zu Wort gemeldet, weil sie gegen die „Schwafelein“ der Männer nicht angekommen sei. Im privateren Kreise aber, habe sie ihren Zorn losgelassen und das Theorisieren der Männer angesprochen. Der Zorn war also genauso da, wie das Verlangen in den politischen Diskussionen einen Bezug zur eigenen Lebensrealität herzustellen.

Für Freiburg trifft vermutlich ein Befund der Untersuchung Frau von Hodenbergs nicht zu. Sie stellt fest: „was für die Geschichte des weiblichen Achtundsechzig in Bonn gilt, [gilt auch] bundesweit“. [4] Doch in Freiburg nahm den vorliegenden Quellen nach die Frauenbewegung nicht `68, sondern erst mit Beginn der 1970er Jahre an Fahrt auf. Dies bestätigt eine damalige Studentin, die feststellt, dass sich die Auseinandersetzungen zwischen den Geschlechtern eher in den großen Städten wie Frankfurt und Berlin zugetragen habe. Von einer Frauenbewegung in Freiburg könne man erst in den 70er Jahren sprechen. In diesem Zusammenhang erinnere sie sich auch nicht an Untergruppen des SDS für Frauen, wie es sie zum Beispiel in Bonn gegeben hat.

Trotz der auch in Freiburg in der Studentenbewegung aktiven Frauen und ein offensichtliches Konfliktpotenzial zwischen den Geschlechtern bildeten sich hier 1968 noch keine Frauengruppen oder gar eine Frauenbewegung heraus. Geschlechterthemen spielten zumindest in der Öffentlichkeit der Bewegung und bei den Protesten noch keine bzw. kaum eine Rolle. 1968 war nicht der Startpunkt der Frauenbewegung in Freiburg.

Bestimmte frauenspezifische Themen und die Diskriminierung von Frauen in Gesellschaft und Universität wurden von den Studentinnen (und auch manchem Studenten) in Freiburg nichtsdestotrotz behandelt – zum Teil schon vor 1968 und dann vor allem seit Anfang der 1970er Jahre. Dieser Aufbruch ist damit nicht eindeutig oder gar ausschließlich der Studentenbewegung zuzuschreiben.

Auch wenn die Erkenntnisse von Hodenberg zum „weiblichen Achtundsechzig“ für Freiburg zu relativeren sind, kann dennoch festgehalten werden, dass die sehr heterogene Gruppe an Frauen und Studentinnen durchaus ihre Anliegen vertrat und in die Praxis umsetzte.

Seit Mitte der 1960er Jahre kandidierten stetig mehr Frauen zur Studentenratswahl und waren im Studentenrat oder anderen Organen der studentischen Selbstverwaltung vertreten. [5] Sie verbesserten tatkräftig die Situation von Studentinnen und Studenten an der Universität. So gelang es der Sozialreferentin des AStA Holle Bergmann die Eröffnung einer psychotherapeutischen Beratungsstelle voranzutreiben, die schließlich am 29. Januar 1986 eröffnet wurde. Ihr Engagement machte diese Einrichtung der Beratungsstelle erst möglich.

Studentinnen wurden aktiv, nahmen die Dinge in die Hand und ließen es nicht bei der Theorie bewenden. Auch Bettina Güttges, eine weitere Sozialreferentin, setzte sich 1967 für die Belange der Studentenschaft ein, indem sie beispielsweise einen Vortrag zum Thema der „Sexuellen Probleme der Studenten an Massenuniversitäten“ veranstaltete.

Das Thema Sexualität schien außerdem so wichtig, dass das Sozialreferat des AStA sogar eine Bestellung von über 400 Exemplare einer Sexualaufklärungsbroschüre in Auftrag gab.

Themen wie Sexualität und psychologische Beratung wurden also durchaus von Frauen in die Arbeit des Studentenausschusses eingebracht, sie wurden jedoch nicht feministisch behandelt. Diese Themen waren schon vor der heißen Phase der Studentenbewegung aktuell und sind keine Errungenschaften jener. So war das Thema Kindererziehung und die Debatte um „Krabbelstuben“ schon vor 1968 hochaktuell, bevor sich aus der Studentenbewegung heraus der erste Kinderladen gründete. [6]

In Freiburg entstanden vermutlich seit Ende der 1960er Jahre oder Anfang der 1970er Jahre Selbsterfahrungsgruppen. Das waren Gruppen, in denen Frauen ihren Körper erstmals genauer untersuchten und sich mit ihm vertraut machten. Diese fanden in privaten Räumlichkeiten wie z.B. der WG in der Immentalstraße statt. Die `68erin Mechthild Blum erinnert sich im Interview mit der Badischen Zeitung: „In diesen Frauengruppen nach amerikanischem Vorbild ging es darum, sich mit der eigenen Körperlichkeit und Sexualität auseinanderzusetzen, und dazu gehörte in der Tat die Selbstuntersuchung. Viele wussten nicht, wie das weibliche Geschlecht überhaupt aussieht, man kannte nur die gezeichneten Längsschnitte durch den Unterleib aus dem Biologiebuch oder eingeschmuggelte schwedische Pornos.“ [7] Doch das Thema war, so Blum, „angstbesetzt, die Stimmung verschämt. Man sollte oder wollte dort schließlich über etwas reden, über das man noch nie gesprochen hatte.“ [8]

 

Nicht nur Frauen hatten mit der unterdrückten Sexualität zu kämpfen. So beschreibt Mechthild Blum, dass es auch viele Männer als „bedrohlich“ empfanden, dass sich darüber ausgetauscht wurde, wie Männer sich beim Sex verhielten. Mehr zum Thema Sexualität und Verhütung unter Bahnhofstoilette.

Anmerkungen

[1] Vgl. Hodenberg: Das andere Achtundsechzig, S. 116.

[2] Vgl. Hodenberg: Das andere Achtundsechzig, S. 109

[3] Hodenberg: Das andere Achtundsechzig, S. 150. f.

[4] Einzelinterview Babara Volhard, ab 47:30 min

[5] Einzelinterview Babara Volhard, ab 55:55 min.[6] Einzelinterview Babara Volhard, ab 44:20 min[7] Einzelinterview Babara Volhard, ab 01:02:50 min[8] Vgl. Hodenberg: Das andere Achtundsechzig, S. 107.[9] Einzelinterview Babara Volhard, ab 01:03:06 min.[10] Einzelinterview Babara Volhard, ab 53:25 min.[11] Einzelinterview Babara Volhard, ab 55:00 min.[12] Studentenschaft der Universität Freiburg (Hrsg.): Studentenratswahl. Allgemeine Wahlzeitung, 1961-1976.[13] Scherb, Ute: Für Studierende mit Kind: Kita und Krabbelstube, in: „…und freitags gibt es Milchreis.“ 75 Jahre Studentenwerk Freiburg, S. 43–49, hier S. 43.[14] So im Interview mit Sigrun Rehm (Badische Zeitung): „Die Freiburger Journalistin Mechthild Blum über die Frauenbewegung 1968“, 2018.[15] Ebd.

Schluss

Frauen bzw. Studentinnen waren in Freiburg ein wichtiger Teil der Achtundsechziger-Bewegung, doch waren die öffentlichen Wortführer in der Regel Männer. Den bisher vorliegenden Quellen nach zu schließen traten Frauengruppen in Freiburg erst seit Beginn der 1970er Jahre in die Öffentlichkeit. Es ist nicht auszuschließen, dass es schon zuvor im Privaten einen Austausch und Zusammenschluss von Frauen gab, die sich mit Frauenfragen und dem Geschlechterverhältnis beschäftigten. Auch wenn für Freiburg der Beginn der Frauenbewegung nicht schon Achtundsechzig festzulegen ist, darf das Engagement von Studentinnen in der Studentenbewegung wie auch schon bereits vor 1968 in der studentischen Selbstverwaltung oder in der Freiburger Studentenzeitung nicht außer Acht gelassen werden. Es lohnt sich, den männlichen Tunnelblick auch für „’68 in Freiburg“ abzulegen, denn die Studentinnen sind auch aus der Freiburger Studentenbewegung nicht wegzudenken.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Quellen

Archivalien

  • UAF B47/258, Informationen für Dozenten und Studenten der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau, hrsg. v. AStA der Albert-Ludwigs-Universität.
  • UAF B1/2003, Artikel „Freiburg – Universität der Frauen“, in: Schwarzwälder Bote, 4.07.1958, Nr. 150.
  • UAF B47/274, Allgemeine Wahlzeitungen zur Studentenratswahl, hrsg. v. AStA der Albert-Ludwigs-Universität.
  • UAF B47/81, Sozialreferat der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau, 1966-1969.

Internetquellen

  • Statistische Berichte des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg zu den Studierenden an den Wissenschaftlichen Hochschulen sowie Kunst- und Musikhochschulen im Wintersemester 1968/69, online verfügbar unter: https://www.destatis.de/GPStatistik/servlets/MCRFileNodeServlet/BWHeft_derivate_00003778/BIII_jWS68_69.pdf (letzter Zugriff: 29.09.2018).
  • Sigrun Rehm (Badische Zeitung): „Die Freiburger Journalistin Mechthild Blum über die Frauenbewegung 1968“, 2108, online verfügbar unter: http://www.badische-zeitung.de/liebe-familie/die-freiburger-journalistin-mechthild-blum-ueber-die-frauenbewegung-1968–151297944.html (letzter Zugriff: 04.11.2018)

Interviews

  • Gruppeninterview mit Margret Böhme, Ursula Geneuss, Dr. Ursula Schäfer-Preuss und Dr. Regine Stefani, Juli 2016.
  • Interview Gesche Ahlers, Juli 2016.
  • Interview Ursula Geneuss, Juli 2016.
  • Interview Dr. Ursula Schäfer-Preuss, Juli 2016.
  • Interview Barbara Volhard, 01.06.2018.

Artikel aus der fsz

  • Lienhard, Ludwig, Bei 750,- DM wird es kritisch. oder: Warum die Krabbelstube nicht voll belegt ist, in: fsz 2 (1968), S. 8.
  • Artikel Befreit die Kinder, in: fsz 5 (1969), S. 1+6.
  • Artikel Studentin sucht möbliertes Zimmer, in: fsz 3 (1967), S. 13+16.

Sekundärliteratur

  • Hodenberg, Christina von (2018), Das andere Achtundsechzig. Gesellschaftsgeschichte einer Revolte, München.
  • Scherb, Ute (1996), „Für Studierende mit Kind: Kita und Krabbelstube“, in: „…und freitags gibt es Milchreis.“ 75 Jahre Studentenwerk Freiburg, Freiburg, S. 43–
  • Scherb, Ute (2002), „Ich stehe in der Sonne und fühle, wie meine Flügel wachsen“. Studentinnen und Wissenschaftlerinnen an der Freiburger Universität von 1900 bis in die Gegenwart, Königstein.
  • Wienhaus, Andrea (2014), Bildungswege zu „1968“. Eine Kollektivbiographie des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, Bielefeld.

 

Eine Crossmedia-Produktion von Studierenden der Uni Freiburg in Zusammenarbeit mit der crossmedialen Ausbildungsredaktion uniCROSS am Medienzentrum der Universitätsbibliothek Freiburg.

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