Lebenswelten ’68 in Freiburg




















































Anfang der 1960er Jahre entstand die Studentensiedlung am Baggersee (heute Studentensiedlung „StuSie“ am Seepark), die ca 1.000 Studierenden ein Zuhause bot. Neu war bei der StuSie, dass erstmals auch Studentinnen die Möglichkeit bekamen, in ein Wohnheim einzuziehen. Zwei bis drei Stockwerke der Wohnhäuser sollten durch Studentinnen bewohnt werden. In den Gemeinschaftsräumen konnten sich Studierende aller Geschlechter begegnen. Daneben entstanden Gruppenhäuser, die nur für weibliche Studierende bestimmt waren.
Was die Studierenden von der Geschlechtertrennung im Wohnheim hielten, erzählt Traute Hensch, die zur Zeit der 68er-Bewegung an der Universität Freiburg sowie der Musikhochschule Studentin war und in der Studentensiedlung lebte.
Traute Hensch berichtet vom Leben in der Studentensiedlung und vom Kontakt mit den Dozierenden:
Quellen
„Bis dahin durften Männer und Frauen unverheiratet nicht zusammenziehen. Wurde eine Frau schwanger, war Heirat angesagt – oder sie war die Schlampe. Es waren unterdrückerische Verhältnisse.“
Eine wichtige Rolle in puncto Sexualität und sexueller Befreiung spielte die Beatkultur. Der Einfluss von „Mode, Musik und Tanz“ auf die Menschen trug zur Auseinandersetzung mit dem Körper und der Sexualität bei.
Die Pille, die ab 1961 auf den Markt kam, wurde nur von bestimmten Ärzt*innen verschrieben, Zeitzeuge Peter Harosky erinnert sich:
Quellen
Interview vom 11.04.2018, Badische Zeitung, „Die Freiburger Journalistin Mechthild Blum über die Frauenbewegung 1968.
Baacke, Dieter: „Beat die sprachlose Opposition“. München: Juventa 1970. S. 78-80.
David Kurz: Beatkultur in Freiburg zwischen 1963 und 1968. Freiburg 2011. S. 83.
In den Filmclubs wurden nicht nur Kinofilme gezeigt, sondern die Studierenden wurden selbst kreativ. Sie produzierten eigenständige Filme, oft unkommerzieller Couleur, waren aber auch sonst nicht an konventionelle Rahmenbedingungen gebunden. In ihren Clubs setzten sie sich demokratisch und theoretisch mit dem Medium Film auseinander, sowohl in der Vorführung als auch hinter bzw. vor der Kamera. Um etwa das selbstgewählte Semesterprogramm dem Publikum in einem angemessenen Rahmen präsentieren zu können, fanden Vorträge oder Diskussionen statt.
Eine interessante Anekdote zum aka-Filmclub kann auch Hermann Hein erzählen, der ab 1968 zur Promotion wieder in Freiburg lebte.
Quellen
Helmeke, Sandra (2008), „Der akademische Filmclub der Uni Freiburg“, in: aka-filmclub; URL: http://www.aka-filmclub.de/media/SWR2_interview_1.8.2008.mp3 [letzter Aufruf 29.08.2018]
Meißner, Pascal: Von Studenten für Studenten, in: Kinema Kommunal 2/2012, S. 8f.
In der Mensa der Uni Freiburg ging es um mehr als nur die Qualität oder den Preis der Mahlzeiten. Beides war übrigens elementar für die Student*innen, denn die meisten konnten sich nur das Mensaessen leisten. Nur sehr wenige Studierende besaßen die Möglichkeit, für sich oder ihre Wohngemeinschaft außerhalb der Universität zu kochen. Die Mensa bot aber auch Raum für die politischen Auseinandersetzungen der Studierenden. So wurden in der Mensa Flugzettel für Demonstrationen oder die Theateraufführungen von „Protestautoren“ verteilt. Studierende konnten am SDS-Bücherstand systemkritische Titel wie „Der Einbruch der Sexualmoral“ und „Die Massenpsychologie des Faschismus“ erwerben.
Oder sie konnten an einer Spendenaktion zugunsten der „Republikanischen Rechtshilfe“, für die in der Mensa geworben wurde, teilnehmen.
Auch den Professoren war die Bedeutung der Mensa als Identifikationsort für die Studierenden, aber auch als gesamtuniversitärer Sozialisationspunkt bewusst.
Quellen
FSZ 1968 06, S. 14.
FSZ 1968 08, S. 13.
Die Beatkultur hielt bereits Mitte der 1960er Jahre Einzug in Freiburg. So wurden die in Freiburg sehr erfolgreichen „Monks“ seit 1967 für fast jede Veranstaltung des AStA gebucht. Als Räume der Beatszene sind besonders „der Fuchsbau, der Hadeskeller sowie das Casino“ zu erwähnen. Das Publikum hier war sehr jung und, von Ausnahmen abgesehen, zwischen 16 und 20 Jahren alt. Allerdings fanden Beatveranstaltungen Mitte der 1960er Jahre teilweise auch schon in der Stadthalle statt. Mit der Tangente eröffnete in Freiburg die erste Diskothek.
Ab Ende der 1960er Jahre war die Jugend nicht mehr nur „von Plattenläden abhängig“, sondern konnte ihre Musik auch in Läden wie „Peter’s Experience Shop“ genießen. Dieser konzentrierte sich 1969 auf Psychedelic und Underground, verkaufte nebenbei aber noch Dinge wie „Meinungsknöpfe“, Second Hand LP’s und Räucherstäbchen. Im Untergeschoss des Ladens konnte auf Matratzen liegend Musik gehört werden. Hier verbanden sich Drogen- und Musikkonsum zu einem neuen Lebensgefühl. Erst mit den Monks, einer Freiburger Band, kam es dazu, dass die Student*innen, die vorher überwiegend Jazz hörten, näher mit der Beatszene in Berührung kamen. Die älteren Studenten hörten immer noch Jazz und verachteten Rockmusik, hier spaltete sich die Studentenbewegung generationell entlang der beiden Musikrichtungen.
Quellen
Roland Burkhart, damals Student der Soziologie und Politik, später politischer Liedermacher und Buchhändler, hörte, dass die Gruppe noch jemanden suchte, der die Lieder mit den Kindern singt und stieg mit ein. Im Mittelpunkt der Stücke standen reale Themen aus dem Leben von Kindern und Jugendlichen, die häufig um Fragen der Autorität in der Erziehung kreisten. Dies stand im Kontrast zu Märchen, bei denen es meist um Gut gegen Böse ging und am Ende immer alles gut war.
Roland Burkhart dazu:
Roland Burkhart erzählt von dieser Aufführung und der Reaktion darauf:
Was dann geschah, schildert Traute Hensch so:
Ihr Zahnarzt zum Beispiel zeigte ihr sehr deutlich, was er davon hielt, wie Traute Hensch im Interview erzählt:
Die meisten Studierenden wohnten zur Untermiete in Zimmern bei privaten Vermietern. Die „Szene“ in Freiburg lebte zum Teil in regelrechten Bruchbuden, wie Bernd Hainmüller, Student in Freiburg in den 1960er Jahren, erzählt. Damals vor allem im Viertel rund um das Schwabentor, in der Konviktstraße, in den Hinterhöfen der Herrenstraße, auf der Gerberau und der Insel – dort war das Szeneviertel, runtergekommen und preiswert, bis zur Räumung und Sanierung Ende der 1960er Jahre. In den eigentlich abriss- oder renovierungsbedürftigen Häuser wurden Zimmer mit oftmals prekären hygienischen Bedingungen an die händeringend Wohnung suchenden und wenig anspruchsvollen Studierenden vermietet. Die Zimmer waren nicht selten ohne fließend Wasser, Dusche und Kochmöglichkeit, mit einer Gemeinschaftstoilette auf dem Hof oder bestenfalls im Gang, das Zimmer zudem unzureichend beheizbar. Mit Glück war wenigsten die verlangte Miete entsprechend günstig, Fälle von Mietwucher in solchen „Bruchbuden“ waren jedoch ebenfalls anzutreffen. Die bescheidene Wohnsituation vieler Studierender liess sogar die Verwaltung der Universität Freiburg aktiv werden: sie richtete 1964 Duschen im Kollegiengebäude II ein, in denen Studierende 20 Minuten für 45 Pfennig duschen konnten.
Die studentische „Szene“ suchte und eroberte sich um 1968 zunehmend Räume ohne Kontrolle durch Vermieter*innen: Es gab spontane Partys über ganze Häuserblocks und in der „Drogenhöhle“ in Peter’s Experience Shop im Hinterhof der Herrenstraße konnte man allerlei Substanzen zu psychedelischer Musik auf Matratzen im Keller konsumieren. Gegenüber diesem Hinterhof lag der vom SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) gegründeten Buchladen Libro Libre.
Wie es im „Szeneviertel“ so ablief erzählt der Zeitzeuge Bernd Hainmüller, der 1967 in der Insel 4 wohnte, im Interview:
Quellen
o.V.: „Befreit die Kinder!“ (18.06.1969), in: Freiburger Studentenzeitung. Freiburg. S.1.
Jarausch, Konrad (1984), Deutsche Studenten 1800-1970. Frankfurt a. M.
Im Freiburger Kinderladen konnten Kinder zwischen drei und fünf Jahren untergebracht werden. Die „Elterngruppe“ bestand aus Elternpaaren und alleinerziehenden Müttern. In der wöchentlichen Versammlung wurden alternative Erziehungsmodelle besprochen. Die „möglichst reibungslose[n] Heranziehung angepasster Kinder“ sollte verhindert werden. Kinder sollten durch das „Erlernen von sozialem Verhalten die Grundlagen autonomen Handelns und Denkens [..] bekommen.“
Die Erziehung der Kinder und die Diskussionen der Erziehungskonzepte diente auch der Elterngruppe dazu, sich selbst weiter zu entwickeln und die eigenen Prägungen und Verhaltensweisen kritisch zu reflektieren. Es wurde z.B. diskutiert, wie der „Konsumterror“ an Weihnachten zu umgehen sei. Aber auch weniger Ideologisches wie „verlorengegangene Jacken, Mützen, Schals, über Beziehungsknätsche der Elterngruppe und wer-mit-wem, Ernährung […] [und] Dienstpläne“ wurde verhandelt. Einmal pro Woche hatte jede Person aus der Elterngruppe einen halben Tag Dienst, an dem sie oder er mit den Kindern beschäftigt war.
Eine Projektgruppe „antiautoritärer Kindergarten“ entwickelte sich im Republikanischen Club. Die bestehenden Kindergärten boten keine Alternative für die 68er, da sie in ihren Augen die repressiven Erziehungsmuster durch religiöse und normkonforme Methoden, fortsetzten:
„Über 80% aller Aussagen von Kindergärtnerinnen während ihrer Arbeit sind nach neueren Untersuchungen Befehle.“ Diese Verhaltensweisen müssten den Kindern nachmittags dann extra wieder „wegerklärt“ werden und das Kind stecke so „in der Klemme zwischen zwei Autoritäten“. Der Kinderladen sollte eine Alternative zu diesem Modell bieten. Er war jedoch, so Walter Mossmann rückblickend in seiner Biographie,
„mit Abstand die stressigste und verbindlichste Gruppe, in der ich je war.“u
Mit Anzeigetexten wie „Politischer Buchladen. Alles für den Klassenkampf“ oder „Politbuchladen. Agitationsmaterial für Lehrlinge, Schüler, Studenten. Boykottiert die bürgerlichen Buchläden! Kauft bei Genossen!“ , die in der Freiburger Studenten Zeitung geschaltet wurden, versuchte man, die Zielklientel zu erreichen. Im libro libre konnte die Kundschaft zwischen Werken politischer Theoretiker, linker Philosophen und in der BRD sonst nicht erhältlicher DDR-Autoren stöbern. Die sogenannten „Raubdrucke“, die zu dieser Zeit über und unter der Theke erhältlich waren, wurden zum Großteil in der WG in der Immentalstraße vervielfältigt.
Betrieben wurde die Buchhandlung, die für manche ihrer Kundinnen und Kunden auch eine Art Wohnzimmer darstellte, vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS). Es traf sich hier, wer an Literatur, Theorie oder an Kapitalkursen jenseits der universitären Räume interessiert war. Das libro libre wurde von den Studierenden als öffentlicher und politischer Raum wahrgenommen. Dies zeigt auch der Fall des SDS-Mitglieds Daniel Basi, der aufgrund angeblich begangener Straftaten abgeschoben werden sollte. Um sich dieser Abschiebung zu entziehen soll er angeblich „untergetaucht“ sein. Er war jedoch, ohne sich zu verstecken, häufig im libro libre präsent.
Ab 1969 spaltete sich die linke Studentenbewegung „zunehmend in kommunistische und sozialistische Strömungen auf“. So kam es, dass das ursprünglich vom SDS betriebene libro libre vom Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KBW) übernommen wurde.
Michael Moos, damals wie heute politisch aktiv und am Stadtgeschehen interessiert und engagiert, beschreibt die Entwicklung wie folgt:
Traute Hensch erinnert sich an die skurrilen Geschehnisse und Auseinandersetzungen der verschiedenen linken Gruppierungen und deren Bücherläden:
Quellen
Freiburger Studenten Zeitung 1969 (4), S. 7.
FSZ 1969 (5) S. 6.
FSZ 1969 (8) S. 3.
“1968/2018”, in: Jos Fritz; URL: https://www.josfritz.de/de/buecher/weitere_buchtipps/1968.php [letzter Aufruf: 30.08.2018].
Der damals dort wohnende Bernd Haimüller dazu:
Die Zeitzeug*innen Hiltrud und Bernd Hainmüller dazu:
Quellen
Vielmehr war es die subkulturelle, sich frei entfaltende Jugend, die zum Träger eines musikalischen Bewusstseins wurde. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges formierten sich die jungen Menschen der Nachkriegsgeneration um neue musikalische Entwicklungen. Von Elvis über die Beatles bis hin zu den Stones wurde im Laufe der kommenden Jahre unterschiedliche Musik auf Platte oder live gehört und adaptiert. Als provinzielle Autodidakten brachten sich die Jugendlichen ihre Instrumente selbst bei und imitierten dabei ihre Idole.
Ging es den, oft aus Schülerkreisen stammenden, Musizierenden der frühen 60er Jahre in Freiburg nicht darum, gegen Autoritäten in Form ihrer Eltern, Lehrer oder das politische System, zu protestieren, so interessierten sie sich viel mehr für ideelle Eigenständigkeit, Selbstverwirklichung und die Entdeckung neuer Kulturen. Durch die Entstehung neuer sozialer Räume, den sogenannten „Beatkellern“, wurde ihnen Raum zur Entfaltung ihrer musikalischen Interessen geboten. Einer dieser Orte war der „Hadeskeller“, der 1964 zwischen den gutbürgerlichen Häusern der Stadtstraße eröffnet wurde. An Orten wie diesen konnte man der neuesten Musik von Platte und teilweise dank auftretender Bands auch live lauschen; sittlich tanzen und alkoholfreie Getränke zu sich nehmen.
Eine weitere musikalische Institution aus diesem Kontext war die Blaskapelle „Rote Note“, die von Universitäts- und Musikhochschulstudierenden 1973 ins Leben gerufen wurde. Sie war politischer als die vorausgegangene Jugendmusikwelle und musikalisch interessierter als die aufgespaltene linke Bewegung Studierender. Gegen die Kommerzialisierung der Musik auftretend, aber dennoch mit dem Wunsch, politisch linke Arbeiter- und Protestlieder einer breiten gesellschaftlichen Masse zugänglich zu machen, zeigt sich an diesem Beispiel die Crux antikapitalistischer bzw. unkommerzieller Musikkulturen innerhalb des kapitalistischen Systems: Der Versuch des revolutionären Umsturzes einer breiten Bevölkerungsschicht durch Musik war zum Scheitern verurteilt. Vielmehr war Musik der Katalysator rebellischer Theorie und unterstützte etwa in Form von Demonstrationsbegleitungen den praktischen Versuch revolutionärer Proteste.
Quellen
Die redaktionellen Inhalte wurden erstellt von
Emilia Kappel, Alisa Lang, Leon Pfaff und Nora Schroeder.
Fotos: Leon Pfaff