Erinnerungskultur und ’68er-Bewegung

Das Jahr 1968 und die Protestbewegungen dieser Zeit gelten als Sinnbild für den Kampf einer jungen Generation gegen die Lebenswelt ihrer Eltern und Großeltern. In vielen Ländern der Welt formierte sich  studentischer Widerstand gegen bestehende Autoritäten und versuchten junge Menschen durch unterschiedliche Aktionen Veränderungen herbeizuführen. In den Augen der jungen Protestierenden sollte eine  Umgestaltung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse stattfinden. Die mangelnde kritische Auseinandersetzung der älteren Generation mit Krieg, Kapitalismus, Rassismus und die fehlende Aufbereitung der Verbrechen der NS-Zeit waren für weite Teile der Jugend nicht mehr hinnehmbar.

In Deutschland prägte die ’68er-Bewegung eine ganze Generation, deren Einfluss auch 50 Jahre später immer noch spürbar und weiter Gegenstand von Diskussionen ist. Bekannt wurden vor allem Bilder und Berichte von Massendemonstrationen, Straßenschlachten mit der Polizei und anderen Aktionen aus den großen Zentren der Bewegung. Neben diesen spektakulären Szenen fand ein großer Teil der 68er-Bewegung jedoch auch in kleineren Städten und so auch in Freiburg statt.

Dabei zeigt sich oft eine Diskrepanz zwischen der Erinnerung und den damaligen realen Ereignissen. Die Erinnerungan die ’68er-Bewegung durch Medien, durch ehemalige Beteiligte und Kontrahenten geprägt, die Vorgehen und erreichte Ziele unterschiedlich bewerten. Die Erinnerungskultur unterliegt zudem einem stetigen Wandel. Der Umgang mit den Erinnerungen von Personen aus dem Raum Freiburg an die ’68er-Bewegung und dessen Wandel wird auf den folgenden Seiten aufgezeigt. Dabei entsteht kein vollständiges Abbild der Erinnerungskultur, sondern eine Sammlung einzelner Positionen.

Die Betrachtung der Erinnerungskultur ist in drei Bereiche unterteilt: „Persönliche Erinnerungen“, „Politische Erinnerungen“ und „Mediale Erinnerungen“. Im ersten Bereich finden sich ein Interview mit einem ehemaligen Polizisten sowie eine Zusammenstellung von Tagebucheinträgen  zum Thema ’68er-Bewegung. Der Bereich der politischen Erinnerung wird durch Stimmen aus Parteien und Hochschulpolitik aufgezeigt. Diese ordnen die damaligen Geschehnisse ein und sprechen über den Einfluss, den sie bis heute ausüben. Der Abschnitt zu den medialen Erinnerungen dokumentiert die Berichterstattung in der Badischen Zeitung anhand von ausgewählten Artikeln, welche die veränderten Blickwinkel und Bewertungen verdeutlichen und wichtiger Bestandteil der Erinnerungskultur jüngerer Generationen sind.

Persönliche Erinnerung

Interview mit Polizeihauptkommissars a. D. Eberhard Steger

Die Erinnerungskultur der Bewegungen ab 1968 wurde bisher von vielen verschiedenen Seiten betrachtet: aus der Perspektive der Aktivisten, der Studierenden, der Regierenden, aber auch aus der Sicht der Frauen oder von Parteien. Die Geschichtswissenschaften erforschen seit Jahren in einer großen Bandbreite das „Phänomen 1968“ und hierbei auch das Verhältnis zwischen Staat und seinen Bürgerinnen und Bürgern. Eine Institution bzw. eine Akteurin, die hierbei aber kaum beleuchtet wird, ist die Polizei. Als direkter Repräsentant des Staates, gegen den sich eine Vielzahl der Proteste richtete, musste sich die Polizei seit 1968 einer Vielzahl neuen Herausforderungen stellen: Das Aufkommen von Massendemonstrationen (z.B. gegen den Schah-Besuch), allgemein eine erhöhte Gewaltbereitschaft bis hin zum politischen Terror der RAF, später dann Hausbesetzungen oder die Besetzung von Bauplätzen geplanter Atomanlagen wie in Wyhl, Brokdorf oder Gorleben. Gerade die 1970er stellten die Polizei vor eine Zerreißprobe und auch ihr Bild in der Öffentlichkeit wurde durch die überforderte Politik zunehmend negativer.

Unser Interview-Partner Eberhard Stegerer entschloss sich nach dem Abitur Ende der 1960er in den Polizeidienst einzutreten. Eine Entscheidung, die er heute wieder genauso treffen würde. Als Zeitzeuge ermöglicht er eine bislang unterbelichtete Perspektive auf die Geschehnisse dieser Zeit. Wurden bisher lediglich ehemalige Aktivisten oder Entscheider befragt, gibt sein Interview sehr gut Aufschluss über Zeitgeist und Innenleben der Polizei:

„Fahrkartenproteste in Freiburg am 1.2.1968. Die Polizei steht einer großen Zahl von Demonstrierenden gegenüber.“

Die Studentenproteste von 1968 jähren sich dieses Jahr zum 50. Mal. Worin sehen Sie den Auslöser für die größte Protestwelle der jungen Bundesrepublik?

ES: Zu dieser Zeit der großen Proteste in Freiburg war ich Gymnasiast im Hochschwarzwald. Bei uns in Neustadt am Gymnasium hat man davon fast nichts mitbekommen. Damals war es schon als fortschrittlich zu betrachten, wenn ein Schüler der Oberstufe Zeitung oder sogar Spiegel und FAZ gelesen hat. Wir waren zwar geographisch nah dran an Freiburg, ca. 30-40km, aber das Wissen darüber, was da in Freiburg passierte, war stark limitiert. Die einzigen beiden Medien im Schwarzwald waren/sind die Badische Zeitung und der Südkurrier.

Wie sind Sie selbst mit der Generation „68er“ in Kontakt gekommen?

ES: Eine Frage, die natürlich für mich schwierig zu beantworten ist, weil meine Generation ja oft als die „68er“ bezeichnet wird. Dies trifft übrigens auf gar nicht so viele zu, wie man vielleicht denkt. In der Schule war es bei mir so, dass unser Geschichtslehrer noch aus dem Dritten Reich kam. Eine inhaltliche Auseinandersitzung im Rahmen des Lernstoffes war damit also quasi gar nicht möglich und auch im Geschichts-/Gemeinschaftskundeunterricht wurde nichts zu den Protesten und Demonstrationen in Freiburg diskutiert.

Kontakt und Begegnung mit den „68ern“ (oder solchen, die sich zu dieser Bewegung zählten, Anm.) wurden dann natürlich in meiner beruflichen Laufbahn immer intensiver. In meiner Anfangszeit bei der Bereitschaftspolizei wurde ich in Bruchsal ausgebildet. Mein Zug war einer der ersten, der rein aus Abiturienten bestand (1969). Wir wurden im „Großen Sicherheits- und Ordnungsdienst“ im Umgang mit Demonstrationen besonders geschult. Ein Einsatz ist mir dabei besonders im Gedächtnis geblieben: Der Weltbank-Präsident McNamara kam 1970 im Sommer nach Heidelberg. Unser Zug wurde daraufhin nach Heidelberg zum Einsatz gefahren, schließlich waren wir ja alle gut ausgebildet und hatten das so oft exerziert. Letztendlich eingesetzt wurden wir aber nicht, also der Abiturienten-Zug, sondern andere, und die Situation ist auch ziemlich eskaliert. (Vgl. Spiegel Artikel, vom 29.6.1970). Wir hätten die Situation vielleicht durchaus adäquater und vor allem friedlicher lösen können, zum Beispiel im Gespräch mit dem polizeilichen Gegenüber an der vordersten Linie. Nachdem wir zurück in Bruchsal waren, haben wir dies unserem zuständigen Polizeioberrat auch so mitgeteilt. Wir waren verwundert, dass wir nicht eingesetzt wurden und im Mannschaftswagen verharren mussten. Darauf angesprochen meinte der Polizeioberrat – und das werde ich nie vergessen – dass: „Der Einsatzleiter hatte befürchtet, dass ihr zu den Demonstranten hättet überlaufen können.“

„Fahrkartenproteste in Freiburg am 1.2.1968. Die Polizeimaßnahmen müssen aufgrund der Ausmaße der Demonstration erweitert werden.“

Wie verlief Ihre polizeiliche Ausbildung und welche Stationen waren hierbei prägend?

ES: Wie bereits erwähnt, waren wir einer der ersten Jahrgänge von Polizeianwärtern für den gehobenen Dienst, der in einem Zug rein aus Abiturienten bestand. Die Ausbildung fand in der neu eingerichteten Bereitschaftspolizei in Bruchsal statt. Die theoretische Ausbildung war relativ knapp. Für drei Monate verbrachte man sogar Zeit damit, den Führerschein zu machen. Heute ist dies im Übrigen Voraussetzung für die Zulassung in den Polizeidienst. Damals konnte man ihn noch im Rahmen der Ausbildung erwerben. Unsere Ausbilder waren in der Regel junge und (vom NS, Anm.) unbelastete Beamte, wovon jedoch die wenigsten selbst das Abitur hatten. Wir sprachen deshalb öfters mal mit dem Polizeioberrat über unsere Ausbilder und darüber, dass sie nur ihre Skripte vorlesen würden, rhetorisch nicht besonders geschult waren und insgesamt auch versucht hatten, Diskussionen weitgehend zu vermeiden. Der Polizeioberrat entgegnete uns darauf, dass die Ausbilder quasi Angst vor unseren intellektuellen Fähigkeiten hätten. Sie würden befürchten in einer Diskussion mit uns ihr Gesicht zu verlieren. Dies war im Übrigen auch der Grund dafür, weshalb es aber auch kein Ausbilder wagte, sich mit unserem Abiturienten-Zug anzulegen. Die Polizei wollte mit unserem Zug keine Diskussionen führen müssen, weil sie fürchtete, intellektuell unterlegen zu sein.

In Ihrer Anfangszeit bei der Polizei hatten Sie noch mit Kollegen zu tun, die bereits im Dritten Reich bei den Polizeibehörden im Dienst standen. Wie gestaltete sich der Umgang mit den älteren Kollegen?

ES: Natürlich war uns bekannt, dass einige der älteren Kollegen bereits im NS als Polizisten aktiv waren und ebenso, dass wir mit unserer Laufbahn im gehobenen Dienst irgendwann sogar deren Vorgesetze werden könnten. Es waren aber immer unsere Kollegen, schließlich musste man ja mit ihnen zusammenarbeiten. Aber klar, es gab Unterschiede zwischen meiner „jüngeren“ Generation und den vermeintlich erfahrenen Kollegen.

Wie äußerte sich dies?

ES: Die älteren Kollegen waren im Umgang mit Straftätern vielfach deutlich „rabiater“. Wir Jüngeren waren aber auch im Polizeirecht deutlich besser ausgebildet und die älteren Kollegen hatten eben eine andere Schul- und Polizeiausbildung hinter sich. Das gilt aber nicht nur für das Polizeirecht. Auch in Verfahrensfragen waren sie teilweise leider nicht so gut ausgebildet worden. Bei manchen könnte man sicher auch sagen, dass sie auf die alten Tage nicht mehr die Motivation aufbrachten, sich damit zu befassen. Als gutes Beispiel hierfür kann ich auf das Verfahren zur Messung von Atemalkohol hinweisen. Hier sagte ein älterer Kollege mal zu mir, ich soll doch einfach rechts abbiegen und den vor uns fahrenden offensichtlich betrunkenen Autofahrer nicht kontrollieren. Dies sagte er aber nur, weil er selbst nicht wirklich wusste, wie das Verfahren zur Messung von Atemalkohol eigentlich funktionierte, also die Blutentnahme. Ich erwiderte dann nur, dass es meine Pflicht als Polizist sei, meine Arbeit korrekt und dem Verfahren entsprechend zu erledigen.

Sie selbst waren auch als Polizist in Freiburg tätig. Welche Erinnerungen haben Sie noch an Ihre Zeit in Freiburg?

ES: Vom Herbst 1970 bis Frühjahr 1971 war ich erstmals in Freiburg eingesetzt. Danach ab Mitte der 1970er wie bereits erwähnt beim MEK. Ich war dem Revier Süd zugeteilt und war auf dem Polizeiposten Weingarten tätig. Weingarten war damals ein neu gegründeter Stadtteil. Dort hatten wir es oft mit Konflikten mit den Sinti und Roma zu tun. Im Vergleich zu den Studentenprotesten waren diese Konflikte ein deutlich größeres Problem. Unter den Polizisten war dies natürlich auch ein kritisches Thema. Gerade die älteren Kollegen hatten ein Bild der Sinti und Roma, das vielleicht noch nachhaltig auch durch die NS-Ideologie geprägt war. Wir jüngeren Polizisten hatten eine andere Bildung und Prägung. Ich selbst hatte im Umgang mit diesen Leuten kein Problem. Man musste eben wissen, wie man mit ihnen richtig umgeht und sie spüren lassen, dass man sie als Mensch wertschätzt und wahrnimmt. Mir scheint, dass dies leider nicht allen Kollegen immer so gelang. Ich erkannte schnell, dass der einfachste Zugang zu ihnen beispielsweise am besten über die Mutter gelang. Wenn man der Mutter mitteilte, was ihren Söhnen vorgeworfen wurde, wies sie diese zur Kooperation an. Und das passierte dann auch so.

In den ersten zehn Jahren Ihrer Laufbahn kam die junge Bundesrepublik, wie es oft heißt, an den Rand einer Krise. Wilde Zeiten geprägt von Terror, Anti-Kriegs-Bewegungen und dergleichen mehr. Welche Themen bewegten Sie damals, der ja quasi auf „der anderen Seite“ stand?

ES: Also grundsätzlich muss ich sagen, dass ich wegen der „Gefahren“ wie der RAF in dieser Zeit eigentlich nie Zweifel an meiner Berufswahl hatte. In der Tat kamen mir die Zweifel aber eher dann, wenn ich aktiv mitbekam, wie der Staat auf gewisse Dinge in dieser Zeit reagierte. Oft kam mir dies geradezu hysterisch vor. Als der Innenminister Schieß von Baden-Württemberg von einer Staatskrise wegen den 50 Terroristen in der Republik sprach, mussten wir Polizisten uns das Lachen verkneifen. Das war doch keine Staatskrise! Wir jungen und gut ausgebildeten Polizisten haben uns oft gewundert, wie unprofessionell, unqualifiziert und ohnmächtig der Staat auf solche Terroristen reagierte. Zum Beispiel bei der Abhörung der Anwälte, Croissant und Schily: Da wurden ellenlange Begründungen über den rechtfertigenden Notstand herangezogen, um die Telefone anzapfen zu dürfen. Oder bei der Observation der Terroristen. Irgendwann war denen ja auch klar, dass sie überwacht wurden und dann wurde es einfach nur noch lächerlich. Die haben uns sogar gegrüßt. Aber was sollte man da als junger Beamter machen? Das waren nun mal die dienstlichen Weisungen. Manchmal kam es mir bzw. uns Jüngeren fast so vor, als liefere der Staat selbst die Argumente für die RAF. Wir fragten uns oft, weshalb der Staat eigentlich dermaßen unrechtmäßig und unverhältnismäßig reagierte. Dies war komplett das Gegenteil von dem, was wir in unseren Ausbildungsphasen gelernt hatten. Mir kam es so vor, als habe der Staat seine Werte der Rechtstaatlichkeit über Bord geworfen und damit die Argumente für die RAF und die Protestbewegungen geliefert.

Wurde dies von der Mehrheit der Polizisten so gesehen?

ES: Also man muss natürlich einräumen, dass nicht alle immer alles hinterfragt haben. Das wurde mir auch von den Kollegen manchmal gespiegelt, dass ich da insgesamt recht kritisch, manchen vielleicht auch zu kritisch war. Aber es waren eben auch nicht alle Polizisten wirklich politisch interessiert. Man darf ja nicht vergessen, was ich anfangs erwähnt hatte, nämlich dass wir alles Abiturienten waren. Wir waren es einfach mehr gewohnt, Dinge kritisch(er) zu hinterfragen. Dies zeigte sich insbesondere dann, wenn die Vorgesetzen immer wieder den „Profi-Anspruch“ an den Tag legten, aber ehrlich gesagt nichts dafür taten, diesem gerecht zu werden. Weder durch technische Ausrüstung noch durch Führungsqualitäten ihrerseits. Natürlich war das für die Republik eine Zerreißprobe, keine Frage. Aber ich sehe das Problem der Polizei eher in der Mimosigkeit bzw. den Zuständigkeitsregelungen: Weil sich doch keiner hinterher Fehler nachweisen lassen will. Das ist ja heute noch ähnlich.

Wie hat sich dies in der Polizei bzw. den Sicherheitsbehörden bis heute verändert?

ES: Also es gibt ja dutzende Behörden auf Länderebene und auch die Polizei ist ja eine Landesbehörde. Dann die Landeskriminalämter und die Landesämter für Verfassungsschutz. Also alleine da schon 32 Behörden plus die einzelnen Polizeipräsidien plus Innenministerien, etc. Vor der WM 2006 wurde mal überlegt und geplant, eine einheitliche IT-Umgebung einzurichten. Dabei wurden dann auch noch andere Institutionen wie das Rote Kreuz, Malteser, Technisches Hilfswerk oder Katastrophenschutz mit an den runden Tisch geholt, aber das Vorhaben ist 2006 gescheitert. Die strukturellen Probleme sind ja seit Jahrzehnten bekannt, und die Polizei hat bereits zu meiner Zeit seit Jahren darauf hingewiesen. Aber dass dann bei 16 Innenministern mit verschiedener Parteizugehörigkeit und politischer Einstellung durchzusetzen, ist natürlich schwer. Fälle wie NSU oder Anis Amri resultieren ja nicht zuletzt aus diesem Behörden-Wirrwarr.

Inwiefern wird innerhalb der Polizei an einer historischen Aufarbeitung bzw. Erinnerungskultur geforscht?

ES: Also die Ausbildungselemente haben sich ja bereits zu unserer Zeit schon quasi aus der Zeit heraus geändert. Wie erwähnt haben wir ja schon Schulungen speziell für Demonstrationen erhalten. Die Inhalte der Ausbildung werden natürlich auch jeweils aktuell angepasst.

Wie sieht es mit dem Fach „Polizeigeschichte“ aus?

ES: Die Polizeigeschichte war zu meiner Zeit quasi nicht im Fokus der Polizei und demnach auch in keinem Aus- und Fortbildungsplan aufgenommen worden. Da gibt es seit einigen Jahren nur an der Deutschen Hochschule für Polizei in Münster einen Historiker, welcher aber nicht forscht, sondern lediglich unterrichtet. Auch an der Polizeifachhochschule in Villingen-Schwenningen ist die Besetzung der Dozentur der Polizeigeschichte eigentlich eine Farce. Dort lehrt kein gelernter Historiker, der zur Geschichte der Polizei promoviert oder gar habilitiert hat. Dort lehrt ein Polizist, der eben der Einheits-Laufbahn gefolgt ist und nun dort Polizeigeschichte unterrichtet. Dass dabei natürlich aufgrund seiner fehlenden Qualifikation keine entsprechend geeigneten Publikationen zur Polizeigeschichte herausgebracht werden, ist dann natürlich die Folge. Die Laien trauen sich nämlich gar nicht in den wissenschaftlichen Diskurs einzutreten. Wenn etwas aufgearbeitet wird, dann vielleicht in Form von Bachelorarbeiten der Absolventen der Polizeifachhochschule oder der Masterarbeiten bei der Deutschen Hochschule für Polizei in Münster, allerdings dauert das Studium dort nur neun Monate insgesamt. Außenstehende Historiker haben oft das Problem, dass die Hierarchiestrukturen in der Polizei natürlich sehr komplex und damit für Außenstehende schwer zu durchschauen sind.

Quellen

Bergestermann, Sabine: Stammheim. Eine moderne Haftanstalt als Ort der Auseinandersetzung zwischen Staat und RAF, Berlin/Boston 2016.

Bundes Ministerium des Inneren (Hrsg.): Analysen zum Terrorismus. Bd. 1-4,2 Bonn 1981 – 1984.

Busch, Heiner u.a.: Die Polizei in der Bundesrepublik. Frankfurt/New York 1988.

Conze, Eckart: Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart, München 2009.

Conze, Eckart: Geschichte der Sicherheit. Entwicklung – Themen – Perspektiven, Göttingen 2018.

Dams, Carsten: Polizei in Deutschland 1945 – 1989, in: APuZ 48/2008, S. 9-14.

Funk, Albrecht/Werkentin, Falco: Die Siebziger Jahre. Das Jahrzehnt innerer Sicherheit?, in: Narr, Wolf-Dieter (Hrsg.): Wir Bürger als Sicherheitsrisiko. Berufsverbot und Lauschangriff – Beiträge zur Verfassung unserer Republik, Hamburg 1977, S. 189 – 210.

Krieger, Wolfgang: Geschichte der Geheimdienste. Von den Pharaonen bis zur CIA, München 2009.

Rigoll, Dominik: Staatsschutz in Westdeutschland. Von der Entnazifizierung zur Extremisten-Abwehr, Göttingen 2013.

Scheiper, Stephan: Der Wandel staatlicher Herrschaft in den 1960/70er Jahren, in: Weinhauer, Klaus u.a. (Hrsg.): Terrorismus in der Bundesrepublik. Medien, Staat und Subkulturen in den 1970er Jahren, Frankfurt/New York 2006,S. 188-216.

Weinhauer, Klaus: Die Schutzpolizei in der Bundesrepublik. Zwischen Bürgerkrieg und innerer Sicherheit: Die turbulenten Sechziger Jahre, Paderborn u.a. 2003.

Weinhauer, Klaus: Zwischen „Partisanenkampf“ und „Kommissar Computer“. Polizei und Linkterrorismus in der Bundesrepublik bis Anfang der 1980er Jahre, in: Weinhauer, Klaus u.a. (Hrsg.): Terrorismus in der Bundesrepublik. Medien, Staat und Subkulturen in den 1970er Jahren, Frankfurt/New York 2006, S. 244 – 270.

Welsch, Peter: Der tendenzielle fall der Freiheit. Die Ausweitung der staatlichen Überwachung von Fernmeldeverkehr, Wohnung und Computer in der Bundesrepublik Deutschland durch G-10 „Großen Lauschangriff“ und Online-Durchsuchung, Marburg 2013.

Werkentin, Falco: Die Restauration der deutschen Polizei. Innere Rüstung von 1945 bis zur Notstandsgesetzgebung, Frankfurt u.a. 1984.

Wiefelspütz, Dieter: Die Abwehr terroristischer Anschläge und das Grundgesetz. Polizei und Streitkräfte im Spannungsfeld einer neuen Herausforderung, Frankfurt 2005.

Am 02.06.1967 wurde der 26jährige Berliner Student Benno Ohnesorg vom Polizisten Karl-Heinz Kurras mit einem Pistolenschuss aus kurzer Distanz in den Hinterkopf erschossen. Kurras‘ Schuss wurde von der Polizei zunächst als „Notwehr“ bezeichnet, aufgrund der ermittelten Umstände musste von dieser Aussage in der Folge abgerückt werden. Ohnesorgs Tod löste wochenlange Massendemonstrationen in ganz Westdeutschland aus und führte zu den Rücktritten des Polizeipräsidenten, des Innensenators und des regierenden Bürgermeisters von West-Berlin. Karl-Heinz Kurras wurde am 21.11.1967 und im Wiederaufnahmeverfahren am 22.12.1970 freigesprochen.

Auch in Freiburg führte die Erschießung Ohnesorgs zu Protesten. Der AStA verteilte am 05.06.1967 – trotz Verbot des Prorektors – Flugblätter, in denen u.a. zu einer Demonstration am 06.06.1967 aufgerufen wurde.

Am 12.12.1967 beschloss der Freiburger Gemeinderat die Anhebung der Fahrpreise zum 01.02.1968. Aufgrund der zu erwartenden Proteste entschloss man sich am 25.01.1968, die Erhöhung auf den 01.03.1968 zu verschieben, da dann die Studierenden in den Semesterferien wären und mit weniger Protesten zu rechnen sei. Dennoch rief der StuRa am 31.01.1968 per Flugblatt zu Protesten gegen die Fahrpreiserhöhung auf. Die Proteste dauerten vom 01.02. bis zum 09.02.1968 und führten zum ersten Einsatz von Wasserwerfern in Baden-Württemberg.

Im Dezember 1968 stand die geplante Wiederwahl des Universitätsrektors Bruno Boesch an, die für den 09.12.1968 angesetzt wurde. Bevor die Wahl erfolgen konnte, kam es jedoch zu handfesten Auseinandersetzungen zwischen SDSlern, Hausmeistern und Professoren, so dass die Wahl abgebrochen wurde. Die Wahl wurde für den 19.12.1968 neu anberaumt und fand unter dem Schutz einer Hundertschaft der Polizei statt.
Parallel tagte seit dem 13.07.1968 die Grundordnungsversammlung (GOV), welche die durch das neue Hochschulgesetz vorgeschriebene Grundordnung erarbeiten sollte. Am 12.12.1968 sprengte der SDS die GOV, und die studentischen Vertreter legten ihre Arbeit nieder.

Ende Februar 1969 sickerte die Information, man habe sich auf eine Grundordnung einigen können, an die Studierenden durch. Die am 15.03.1969 stattfindende Plenarsitzung zur Verabschiedung der Grundordnung durch Professoren und Mittelbauvertretern wurde von Studierenden verschiedener Hochschulgruppen gesprengt. Die Plenarsitzung wurde auf den 17.03.1969 verschoben. Unter Polizeischutz wurde in einem zwölfstündigen Abstimmungsmarathon die neue Grundordnung verabschiedet.

Etwa 25 Jahre später rekapituliert der inzwischen approbierte Arzt die Ereignisse. Anlass hierfür waren der Studienbeginn seiner zwei Kinder und die Zweifel des Sohnes am Studium.

01.10.1992
Ich bin so stolz auf Thomas! Seit heute ist er offiziell Student der Humanmedizin an meiner Alma Mater, der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Sein Wille, nach Beendigung seines Studiums in meine Praxis einzusteigen, ist ungebrochen.
[…]

01.10.1993
Nun ist auch Karin immatrikuliert. Hildegard und ich sind so stolz auf unsere Kinder. Beide studieren nach hervorragendem Abitur, Medizin hier in Freiburg und haben den festen Willen meine Praxis als Gemeinschaftspraxis weiterzuführen.

[…]

15.02.1994
Thomas hat sich in seinem ersten Studienjahr deutlicher schwerer getan als Karin. Nun weiß ich auch warum: Prüfungsordnungen, Studienordnungen und viele weitere Ordnungen machen den Studenten das Leben schwer. Ich habe 1968/69 die Aktionen meiner Kommilitonen verurteilt, bzw. nicht nachvollziehen können. Heute wünsche ich mir für meine Kinder solch engagierte und reformwillige Studenten, wie sie meine Kommilitonen damals zum Teil waren. Thomas hat uns heute erzählt, dass er das Studium abbrechen möchte, weil er den bürokratischen Aspekt des Studiums – NICHT DES ARZTBERUFES!!! – vollkommen unterschätzt hat. Dank Karins Hilfe haben wir gemeinsam einen Plan erarbeitet, der Thomas helfen wird. Er wird sein Studium für ein Jahr unterbrechen und als Sanitäter arbeiten. Dann wird er sein Studium wieder aufnehmen und gemeinsam mit Karin beenden. Er weiß, daß er ein guter Arzt wird, aber er tut sich schwer mit der Bürokratie. Karin ist da pfiffiger.

Quellen

Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen; München 62007.

Oberndörfer, Dieter: Die »studentische Revolte« von 1968 und ihre Folgen (II). 1968/1969 in Freiburg: Zur Vorgeschichte und Geschichte; in: Martin, Bernd (Hg.): 550 Jahre Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Von der badischen Landesuniversität zur Hochschule des 21. Jahrhunderts, 5 Bdd., Bd. 3, Freiburg/München 2007, S. 655–673.

Pietzcker, Carl: Die »studentische Revolte« von 1968 und ihre Folgen (I). Das Jahr 1968: Die Studentische Rebellion in Freiburg; in: Martin, Bernd (Hg.): 550 Jahre Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Von der badischen Landesuniversität zur Hochschule des 21. Jahrhunderts, 5 Bdd., Bd. 3, Freiburg/München 2007, S. 638–654.

Ruprecht, Anne: Die »studentische Revolte« von 1968 und ihre Folgen (III). Konfliktreiche Zeit: Die Studentenbewegung in Freiburg 1967-1969; in: Martin, Bernd (Hg.): 550 Jahre Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Von der badischen Landesuniversität zur Hochschule des 21. Jahrhunderts, 5 Bdd., Bd. 3, Freiburg/München 2007, S. 674–695.

Steuwer, Janosch/Graf, Rüdiger: Selbstreflexionen und Weltdeutungen. Tagebücher in der Geschichte und der Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts; Göttingen 2015 (Geschichte der Gegenwart 10, hg. von Bösch, Frank und Sabrow, Martin).

Bilder: Privatarchiv Stein

Politische Erinnerung

’68 als Feindbild

Welcher politischen Organisation würden Sie folgendes Flugblatt zuordnen?
Man würde sich nicht wundern, wenn dieses aufrüttelnde Flugblatt vom SDS stammen würde. Es stammt allerdings tatsächlich von der Jungen Union Südbaden und wurde Anfang der 70er Jahre hergestellt.

„Entweder wurde die Studentenbewegung von deren Verteidigern zur heroischen Vorhut gesellschaftlicher Emanzipation, kultureller Aufbrüche und einer fundamentalen Demokratisierung der Bundesrepublik stilisiert oder sie wurde von ihren Gegnern als Vorstufe des RAF-Terrorismus und gesellschaftlicher Fortentwicklungen verteufelt. Beide Sichtweisen sind nicht allein polemisch übertrieben, sondern grundlegend falsch. Sie beruhen auf einem veralteten, mechanistischen Bild der Wirkungen von Protestbewegungen“

Der hier zitierte Philipp Gassert, ein Mannheimer Historiker, spricht zwei zentrale Mythen der 68er Bewegung an. Die Verteidiger der 68er-Generation finden sich dabei stärker im linken politischen Milieu, während das konservative Milieu zwischen Differenzierung und Diffamierung der 68er-Proteste hin und her schwingt. Im Folgenden wird die Rezeption der Protestbewegung von 1968 in Freiburg anhand zentraler Interviews konservativer Mandats- und Amtsträger analysiert. Hierfür wurden persönliche und telefonische Interviews geführt sowie ein Fragenkatalog per Mail versandt.

Das Feindbild

Das Feindbild der 68er hat lange Zeit den konservativen Diskurs über die Protestbewegungen bestimmt . Dabei warf man den Protestierenden einerseits die Legitimation (und Anwendung) von Gewalt, andererseits einen kommunistisch-revolutionären Angriff auf die gerade neu etablierte Demokratie vor. Nicht zuletzt die Freiburger Schule der Politikwissenschaften hat tat sich mit harschen Urteilen zur 68er Bewegung hervor:

„Meine Bilanz der 68er-Generation ist und bleibt eine skeptische. Sie hat nicht gehalten, was sie versprochen hat. Sie war im Grunde sogar unpolitisch.“

„Konservierte intellektuelle Wirtschaftsferne und schwach entwickelter Sinn für die moralischen Potenziale ökonomischer Rationalität – das ist der noch heute auffälligste Rest mentaler Prägung durch die restaurativen, modernitätsverweigernden ideologischen Orientierungsinhalte des 68er vermeintlichen Aufbruchs. […] Die zweite deutsche Demokratie hat das ausgehalten. Vorangebracht wurde sie dadurch nicht.“

Diese harschen Urteile stammen zum großen Teil von Zeitzeugen: Dabei zeigt sich, dass die Urteile konservativer Professoren und Dozenten, die damals bereits eine feste Stelle an der Universität innehatten, wesentlich harscher ausfallen als die Urteile konservativer Studierender, die 68 miterlebt hatten . Das Urteil der Folgegeneration, welche 68 zwar bereits geboren, aber noch zu jung für eine aktive Teilhabe war, fällt meist wesentlich differenzierter aus. Der CDU-Bundestagsabgeordnete für Freiburg, Matern von Marschall bilanziert die 68er wie folgt:

Die ’68er haben natürlich polarisiert. Es ist richtig, dass viele Konservative bis heute eine sehr negative Einstellung gegenüber den 68ern haben. Oft sind es Personen, die im angesprochenen Zeitraum auch selbst bereits politisch aktiv waren und die harten Auseinandersetzungen hautnah erleben mussten. Ich denke aber man sollte diese Zeit differenzierter sehen. […] Grundsätzlich haben die 68er berechtigte Fragen gestellt, allerdings haben Einzelne von ihnen auch Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele betrachtet.

Klar wird, dass in der CDU Freiburg 1968 heute kaum mehr als Feindbild gesehen wird. Stattdessen äußern Parteivertreter den Wunsch nach einer adäquaten Darstellung, bei der positive wie negative Sachverhalte dargelegt werden. Freiburg stellt dabei im konservativen Milieu durchaus eine Ausnahme dar.
In Freiburg waren sich Konservative und ’68er inhaltlich nämlich näher als an vielen anderen Orten. Die zentralen Themen der 68er – Bildungspolitik, Bürgerbewegungen und Entwicklungspolitik wurden in konservativen Kreisen in Freiburg deutlich früher aufgenommen als auf Bundesebene.

Es gibt schon Verbindungen, ich denke zum Beispiel an Wyhl. Demonstrationen und Sitzstreiks wurden durch ’68 zu einer weithin akzeptierten Form politischen Protests. Bei den Demos gegen Wyhl saßen dann ’68er direkt neben Konservativen. Die Anti-Atomkraft-Bewegung, auch die ökologische Bewegung, hat in Freiburg früh Zuspruch bei den Konservativen gefunden. Vielleicht aus einer bisweilen religiös geprägten Überzeugung, aber von der Zielsetzung eben vergleichbar.

Bei aller Differenzierung findet sich jedoch bis heute das Feindbild ’68 weiter, auch in Freiburg. Es nimmt nicht Wunder, dass insbesondere die Alternative für Deutschland sich hier hervortut. Über eine bewusste Überhöhung der 68er Bewegung und ihrer Wirkkraft auf die Bundesrepublik wird ein Feindbild geschaffen, gegen welches dann gemeinsam vorgegangen werden soll.

Egal, ob es um Mülltrennung, die richtige Gender-Schreibweise oder Diesel-Verbote geht, letzten Endes ist es ein Ergebnis der Diskursverschiebung durch die ’68er Bewegung.[…] Wir wollen die „Erfolge“ der ’68er rückabwickeln und eine Gegenbewegung darstellen.[…] Freiburg hat sich ja mittlerweile zu so etwas wie ein Rentenparadies für Alt-’68er entwickelt.

Quellen

Interviews:
• Andreas Schumacher, Vorsitzender der AfD Freiburg.
• Matern von Marschall, CDU, direkt gewählter Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Freiburg.

Literatur:
Benda, Ernst: Nicht nur Blumenkinder. Die 68er und ihre Leistungen, in: Bernhard Vogel / Matthias Kutsch [Hrsg.]: 40 Jahre 1968. Alte und neue Mythen – Eine Streitschrift, Freiburg 2008, S. 10-15.

Bösch, Frank: Macht und Machtverlust. Die Geschichte der CDU, Stuttgart 2002.

Dettling, Warnfried: Lob der Kritik. Zur Rolle der Intellektuellen, in: Gerd Langguth [Hrsg.]: Offensive Demokratie. Versuch einer rationalen Orientierung, Stuttgart 1972, S. 22-50.

Eisel, Stephan: Gewaltverharmlosung als 68er-Erbe, in: Bernhard Vogel / Matthias Kutsch [Hrsg.]: 40 Jahre 1968. Alte und neue Mythen – Eine Streitschrift, Freiburg 2008, S. 65-85.

Gassert, Philipp: Bewegte Gesellschaft. Deutsche Protestgeschichte seit 1945, Stuttgart 2018.

Gassert, Philipp: Die “anderen” 68er. Junge Christdemokraten, die Studentenbewegung und Außerparlamentarische Opposition, Die Politische Meinung 63 (2018), S. 105-108.

Gauger, Jörg-Dieter: “68” – Wirkung auf Bildung und Erziehung, in: Bernhard Vogel / Matthias Kutsch [Hrsg.]: 40 Jahre 1968. Alte und neue Mythen – Eine Streitschrift, Freiburg 2008, S. 225-258.

Geldern, Wolfgang von: Jenseits der Barrikaden, in: Bernhard Vogel / Matthias Kutsch [Hrsg.]: 40 Jahre 1968. Alte und neue Mythen – Eine Streitschrift, Freiburg 2008, S. 31-39.

Goltz, Anna von der: A polarised generation? Conservative students and West Germany’s 1968, in: Dies. [Hrsg.]: Talkin bout my generation. Conflicts of generation building and Europe’s 1968, Göttinger Studien zur Generationengeschichte Vol. 6, Göttingen 2011, S. 195-215.

Herbert, Ulrich: Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, München 2014.

Hüllen, Rudolf van: Die West-68er und ihr “Marsch durch die Institutionen”. Versuch, einen Mythos vom Kopf auf die Füße zu stellen, in: Bernhard Vogel / Matthias Kutsch [Hrsg.]: 40 Jahre 1968. Alte und neue Mythen – Eine Streitschrift, Freiburg 2008, S. 131-158.

Jörges, Hans-Ulrich: Schluss mit den Mythen von 68! in: Bernhard Vogel / Matthias Kutsch [Hrsg.]: 40 Jahre 1968. Alte und neue Mythen – Eine Streitschrift, Freiburg 2008, S. 40-47.

Kellerhoff, Sven Felix: 1968 und die Medien, in: Bernhard Vogel / Matthias Kutsch [Hrsg.]: 40 Jahre 1968. Alte und neue Mythen – Eine Streitschrift, Freiburg 2008, S. 86-110.

Langguth, Gerd: Rudi Dutschke und das Konzept Stadtguerilla, in: Bernhard Vogel / Matthias Kutsch [Hrsg.]: 40 Jahre 1968. Alte und neue Mythen – Eine Streitschrift, Freiburg 2008, S. 48-64.

Langguth, Gerd: Protestbewegung. Entwicklung, Niedergang, Renaissance. Die Neue Linke seit 1968, Köln 1983.

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Polenz, Ruprecht: Irrtum ausgeschlossen, in: Bernhard Vogel / Matthias Kutsch [Hrsg.]: 40 Jahre 1968. Alte und neue Mythen – Eine Streitschrift, Freiburg 2008, S. 111-130.

Polenz, Ruprecht: Dreißig Thesen für eine wissenschaftsgerechte Hochschulreform, in: Gerd Langguth [Hrsg.]: Offensive Demokratie. Versuch einer rationalen Orientierung, Stuttgart 1972, S. 83-106.

Schletter, Christian: Grabgesang der Demokratie. Die Debatten über das Scheitern der bundesdeutschen Demokratie von 1965-1985, Göttingen 2015.

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Schönbohm, Wulf: Die 68er: politische Verirrungen und gesellschaftliche Veränderungen, in: Bernhard Vogel / Matthias Kutsch [Hrsg.]: 40 Jahre 1968. Alte und neue Mythen – Eine Streitschrift, Freiburg 2008, S. 16-30.

Schönbohm, Wulff: Die CDU wird modern Volkspartei. Selbstverständnis, Mitglieder, Organisation und Apparat 1950-1980, Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte Bd. 7, Stuttgart 1985.

Schröder, Richard: Neunzehnhundertachtundsechzig, in: Bernhard Vogel / Matthias Kutsch [Hrsg.]: 40 Jahre 1968. Alte und neue Mythen – Eine Streitschrift, Freiburg 2008, S. 195-207.

Sontheimer, Kurt: Die gescheiterte Revolution. Zwischen Naivität und Gewaltbereitschaft, Die Politische Meinung 46 (2001), S. 11-15.

Sontheimer, Kurt: 68er: eine skeptische Bilanz. Es gibt kein tragfähiges politisches Vermächtnis der 68er-Generation. Im Nachhinein erweist sie sich sogar als unpolitisch, Die Politische Meinung 39 (1994), S. 64-67.

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Wolfrum, Edgar: „1968“ in der gegenwärtigen deutschen Geschichtspolitik, Aus Politik und Zeitgeschichte 22-23 (2001), S. 28-36.

Zimmermann, Hans Dieter: Die Fundamentalisten der öffentlichen Meinung. Zum Kampf der Intellektuellen um die symbolische Gewalt, Die Politische Meinung 46 (2001), S. 24-32.

Bild: Junge Union Südbaden, Flugblattvorlage Dritte Welt, um 1970.

Zitate im Text:
Zit. 1 „Philipp Gassert, Professor für Zeitgeschichte, Mannheim“
Zit. 2 „Kurt Sontheimer †, Professor für Politikwissenschaft, München“
Zit. 3 „Hermann Lübbe, em. Professor für Philosophie und Polit. Theorie, Zürich“ (Zit.2 und 3 sind auf der Homepage in einem „Kasten“)
Zit. 4/5 „Matern von Marschall, direkt gewählter Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Freiburg“ (beim Zit. und den Nachfolgenden fehlen noch die Anführungszeichen)
Zit. 6 „Andreas Schumacher, Kreissprecher AfD Freiburg“

’68 als Identifikationspunkt

Werfen wir nun einen Blick auf die andere Seite des politischen Spektrums. Für heutige Vertreter der SPD, der Grünen und der Linken scheint die Studentenrevolte von 1968 keineswegs ein Feindbild, sondern sogar ein politischer Identifikationspunkt zu sein.

So äußert sich beispielsweise Annika Klose, amtierende Juso-Vorsitzende von Berlin: „Die ’68er-Revolte spielt immer noch eine große Rolle in den Debatten, die wir bei den Jungsozialisten führen. Zum einen verbindet man die damaligen Studierendenproteste, zum anderen auch eine gesamtgesellschaftliche Protestbewegung, die da in Gang gesetzt wurde […]. Darin erkennen bis heute gerade die Jusos ihre Wurzeln.“ Auch der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele ist davon überzeugt, dass die Studentenrevolte die deutsche Gesellschaft tiefgreifend zum Positiven veränderte: „Da liegen Welten zwischen heute und damals“, so Ströbele. Katja Kipping von den Linken bezeichnet das fünfzigste Jubiläum der Studentenrevolte gar als einen „Grund zum Feiern.“

Zwar bewerten Vertreter linker Parteien 1968 überwiegend positiv, dabei scheint den meisten allerdings durchaus bewusst zu sein, dass die Studentenrevolte auch Schattenseiten hatte. So kritisiert zum Beispiel der SPD-Politiker Otto Schily im WDR die Verehrung sozialistischer Diktatoren durch prominente Vertreter der Studentenrevolte: „Die fehlende kritische Distanz zu diesen totalitären Regimen kommunistischer Prägung gehört zu den Kardinalfehlern der ’68er-Bewegung“. Kritisch werden auch die Verbindungen zwischen Studentenrevolte und der RAF beurteilt. So erklärt der ehemalige Landtagsabgeordnete Bernd Messinger (Grüne): „Die Bewegung hätte sich viel früher und schärfer mit der Gewalt und dem Terror der RAF auseinandersetzen müssen. Es gab viel zu lange eine indifferente Beziehung zwischen den 68ern und der RAF.“
Doch wie beurteilen Politiker linker Parteien die teils harsche Kritik an der Studentenrevolte durch konservative Kräfte? Es wird deutlich, dass linke Politiker wenig von der Deutung von 1968 durch rechte Akteure halten. So empörte sich Bernd Riexinger (Linke) über einen ’68er-kritischen Gastbeitrag, den Alexander Dobrindt (CSU) in der Welt veröffentlicht hatte: „Dobrindt fordert eine Konservative Revolution und will in die Zeit vor 1968 zurück. Der Begriff stammt übrigens aus der geistigen Mottenkiste der Wegbereiter des Nationalsozialismus. So gräbt die CSU der AfD kein Wasser ab, sondern macht rechtes Gedankengut salonfähig“, ließ Riexinger in einem Tweet verlauten. Auch Claudia Roth (Grüne), die vom AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen als „Vertreterin des versifften links-rot-grünen 68er Deutschlands“ bezeichnet wurde, warnt vor den Versuchen der politischen Rechten, das Erbe von ’68 zu zerstören: „[D]ie haben wirklich die Idee von einer anderen Gesellschaft: geschlossen, autoritär, ausgrenzend“, so Roth.

Quellen

Ciesinger, Ruth / Nowakowski, Gerd: „Alles in Frage stellen, finde ich an sich positiv“. Ein Streitgespräch über Antiautorität, Emanzipation, das Erbe der 68er und Jamaika zwischen Dorothee Bär (CSU) und Hans-Christian Ströbele (Grüne), in: Der Tagesspiegel Online (12.03.18), online unter URL: <https://www.tagesspiegel.de/politik/1968-50-jahre-studenten revolte-alles-in-frage-stellen-finde-ich-an-sich positiv/21049080.html> (29.07.18).

Fouraté, Sonja: Interview zu 68er-Studentenrevolte. „Wir hatten noch Lehrer im Wehrmachtsmantel“, Hessenschau.de (05.09.17), online unter URL: <https://www.hessen schau.de/kultur/buchmesse/interview-zu-68er-studentenrevolte-wir-hatten-noch-lehrer-im-wehrmachtsmantel,interview-goepfert-messinger-100.html> (29.07.18).

Meisner, Matthias / Woratschka, Rainer: Katja Kipping und die linke Sammlungsbewegung. „Ich will keine Partei mit Basta-Sprüchen“, in: Der Tagesspiegel Online (02.02.18), online unter URL: <https://www.tagesspiegel.de/politik/katja-kipping-und-die-linke-sammlungsbewegung -ich-will-keine-partei-mit-basta-spruechen/20915306.html> (29.07.18).

Meyer, Thomas: Gespräch mit Annika Klose, Knut Nevermann und Gesine Schwan. Zwischen Mythos und Alltagserfahrung, in: Neue Gesellschaft | Frankfurter Hefte 6 (2018), S. 9-18.

o. V.: Dobrindt will „konservative Revolution“ unterstützen, in: Tagesspiegel Online (04.01.18), online unter URL: <https://www.tagesspiegel.de/politik/csu-landesgruppenchef-dobrindt-will-konservative-revolution-unterstuetzen/20812904.html> (01.08.18).

Schmale, Holger: Feindbild. So reagiert das „versiffte links-grüne-68er-Deutschland“ auf AfD-Attacken“, in: Berliner Zeitung Online (12.07.16), online unter URL: <https://www.berliner-zeitung.de/politik/feindbild-so-reagiert-das-versiffte-links-gruene-68er-deutschland-auf-afd-attacken–24382588> (05.08.18).

Schulte-Loh, Judith: „Der Erfolg von 1968 ist der kulturelle Wandel“. Gespräch mit Otto Schily, in: WDR 5 Morgenecho (18.01.18), online unter URL: <https://www1.wdr.de/radio/wdr5 /sendungen/morgenecho/interview-otto-schily-100.html> (29.07.18).

Bilder:
1) Bild aus dem Film „Grundordnungsversammlung der Uni Freiburg Teil 2“, 19:42
2) Bild des AStA-Freiburg einer Vollversammlung von 2006, online unter URL: https://www.u-asta.uni-freiburg.de/politik/pms/pm-2006/2006-11-09/plonearticle_image_popup?image_id=ca87582149929b990d76a37454a54d38

Interview mit der AStA-Vorsitzenden Katharina Krahé

Frage: Katharina, was verbindest Du mit der Studentenrevolte von 1968?

Katharina Krahé: Als erstes denke ich an die typischen Medienbilder. Inhaltlich finde ich vor allem den feministischen Aspekt der Studentenrevolte interessant. Auf einem Seminar, das ich kürzlich besucht habe, hörte ich zum ersten Mal vom berühmten Tomatenwurf – eine Aktion weiblicher Studierender, nachdem eine Rede von Helke Sander auf einer SDS-Veranstaltung von männlichen Studierenden ignoriert worden war. Der Tomatenwurf sollte darauf aufmerksam machen, dass der SDS seinem progressivem Anspruch auf dem Feld der Emanzipation nicht gerecht wurde.

Wie wirkte sich die Studentenrevolte auf die hochschulpolitische Arbeit aus?

KK: Eine Nachwirkung von ’68, die sich nachhaltig auf die Hochschulpolitik auswirkte, war die Abschaffung der Verfassten Studierendenschaften in Baden-Württemberg in den 1970er Jahren. Damit reagierte der damalige Ministerpräsident Filbinger auf die Proteste der Studierenden und wollte „den linken Sumpf“ an den Hochschulen trockenlegen. Erst 2012 wurde die Verfasste Studierendenschaft wiedereingeführt. Wir können deshalb leider nur auf fünf Jahre hochschulpolitische Erfahrung zurückgreifen und nicht auf 50.

Inwieweit wird Deiner Auffassung nach in aktuellen hochschulpolitischen Debatten inhaltlich auf 1968 zurückgegriffen?

KK: Auf Forderungen, die während der Studentenrevolte erhoben wurden, wird eher weniger zurückgegriffen. Wenn dann sind eher die Protestformen von 1968 ein Vorbild, was sich zum Beispiel bei der Besetzung des Audimax im Jahr 2009 zeigte. Der größte Unterschied zwischen dem studentischen Engagement damals und heute besteht darin, dass die Studierenden 1968 den Anspruch hatte, die Gesellschaft zu verändern, während heute vor allem hochschulpolitische Aspekte im Vordergrund stehen.

Welche Schattenseiten der ’68er-Revolte sind dir präsent?

KK: Infolge der Studentenbewegung kam es zu einer Fragmentierung der Linken. Ich finde es schade, dass die Linke seither nicht mehr vereint gegen Faschismus und Kapitalismus kämpft, sondern sich verschiedene Gruppen mit ganz unterschiedlichen Einzelfragen – zum Teil auch mit sinnfreien Kleinstproblemen – beschäftigen.

Würdest Du sagen, dass es an der Zeit ist für eine Neuauflage der ’68er-Revolte?

KK: Ich finde es auf jeden Fall schade, dass sich aktuell so wenige Studierende für Hochschulpolitik interessieren. Grundsätzlich würde ich es auch begrüßen, wenn jenseits der Arbeit in den Gremien auch wieder verstärkt medienwirksamere Proteste organisiert würden.

Mediale Erinnerung

Berichterstattung zu Jahrestagen von ’68 in der Badischen Zeitung

Zeitungen können bekanntlich einen großen Einfluss darauf nehmen, wie ihre Leser Ereignisse wahrnehmen und deuten. Dabei beschränken sie sich nicht auf tagespolitische Themen, sondern nutzen vorzugsweise Jubiläen und andere Anlässe, um an historische Begebenheiten zu erinnern. Sie werden also Teil einer Erinnerungskultur. Die Badische Zeitung (BZ) erreicht bis heute einen beachtlichen Leserkreis in Freiburg und Umgebung; es ist daher von besonderem Interesse, ob und wie die BZ über die 68er-Bewegung berichtete und dadurch ihre Wahrnehmung in Freiburg beeinflusste. Artikel zu ’68 finden sich insbesondere im zeitlichen Umfeld von runden Jahrestagen der Studentenproteste.

1978

Auffallend ist an den Beiträgen der BZ anlässlich des zehnjährigen Jahrestages der 68er-Bewegung zuallererst der Mangel an solchen. Tatsächlich findet sich zwischen Anfang Januar und Ende Juni 1978 lediglich ein Artikel, der an die Proteste vor zehn Jahren erinnert. Im Vordergrund stehen in dem Artikel von Lutz Krusche die Auswirkungen, die sich aus den Protesten für Frankreich ergeben haben sollen. Demnach sei die französische Gesellschaft heute dank „1968“ „eine der liberalsten dieser Erde“. Anders als der Bundesrepublik sei es den Franzosen überdies gelungen, die radikalen Elemente der Protestbewegung erfolgreich in den Liberalisierungsprozess einzubinden, während ihre Pendants auf der anderen Seite des Rheins einzig den Weg in den Untergrund für sich sahen. Anhand dieses Artikels lassen sich bereits einige Charakteristika ablesen, die sich auch in der späteren Berichterstattung der BZ ausmachen lassen. Die 68er-Bewegung wird auch in einem internationalen, hauptsächlich binationalen Kontext gesehen, wobei sich Frankreich auch aufgrund der geographischen Nähe zu Freiburg aufgedrängt haben muss. Es findet sich zwar reichlich Lob für die Auswirkungen der 68er-Bewegung, aber es wird auch auf mögliche Probleme hingewiesen.

1988

1988 finden sich dagegen schon mehrere Zeitungsartikel, die sich detailliert mit der 68er-Bewegung beschäftigen. Ausführlich erinnert Joachim Fritz-Vannahme an den Ausbruch und den Ablauf der Proteste in Frankreich; der Titel seines Textes Als die Phantasie die Macht übernehmen wollte beschreibt seiner Ansicht nach den Hauptgrund, warum die Proteste keine politische Umwälzung erzwingen konnten. Die Protestierenden hätten zwar durchaus ambitionierte Ziele verfolgt, umstürzlerische Aktionen jedoch vermieden. Wie auch Lutz Krusche zuvor, stellt Fritz-Vannahme das gesellschaftliche und kulturelle Erbe der Proteste in Frankreich heraus, die überdies kein „terroristisches Nachspiel“ gehabt hätten. Einen Blick auf die Folgen von „1968“ für Deutschland wirft dagegen Karl Otto Sattler in seinem Artikel über Die Spuren der APO. Nach Ansicht des Autoren sei die APO selbst „politisch gescheitert“, ihre weitreichenden Ziele seien unerfüllt geblieben. Des Weiteren hätten sich nach dem Scheitern der APO einige Aktivisten Organisationen angeschlossen, „ die mit dem ursprünglichen Freiheitsstreben nicht mehr viel zu tun hatten.“ Als Beispiel nennt er die DKP, „[…] dem innenpolitischen Abziehbild von SED und KPdSU“, aber auch die K-Gruppen, „[…] die bis auf die Knochen intolerant waren“. Eine „kleine Minderheit“ habe die RAF gegründet und mit ihrem Terror eben jenen „Überwachungsstaates“ herbeigeführt, den die APO habe verhindern wollen. Nach diesen harten Worten beschreibt Sattler jedoch, was die heutige Bundesrepublik der APO zu verdanken habe. Im Grunde sind es dieselben Errungenschaften, die auch Fritz-Vannahme für Frankreich ausgemacht hatte, wobei Sattler besonderen Wert auf die Feststellung legt, dass die APO ein „gesellschaftliches Aufbruchsklima“ gefördert habe, von der spätere Initiativen wie die Frauen-, Friedens-, und Umweltbewegung profitiert hätten. 1988 wurde die ’68er-Bewegung in der BZ also überwiegend positiv rezipiert, allerdings fehlte es nicht an Hinweisen auf die Grenzen ihrer Wirkmächtigkeit und der problematischen Karriere einiger Aktivisten.

1998

Publizierte die BZ bereits 1988 einige längere Artikel über die 68er-Bewegung, lässt sich zehn Jahre später erneut eine deutliche Steigerung in der Anzahl der veröffentlichten Beiträge feststellen. Einige von diesen Artikeln beschäftigen sich dann auch wieder mit Perspektiven der ’68er, die bereits 1988 aufgegriffen worden sind. Dabei wird deutlich, dass die BZ sich – noch stärker als 1988 – um eine kritische Würdigung der Ereignisse von 1968 und ihrer Folgen bemüht. Die Artikel deuten außerdem darauf hin, dass sich die Wahrnehmung und Bewertung in Teilen der Gesellschaft verändert haben dürfte. Ein Beispiel dafür ist ein Artikel von Martina Meister über die Nachwirkungen der 68er-Bewegung in Frankreich und ihrer Rezeption durch die Franzosen. Darin zeigt sie auf, dass in Frankreich mittlerweile eine intensive Debatte um die Frage entbrannt sei, inwiefern die 68er-Bewegung die französische Gesellschaft zum Guten oder zum Schlechten verändert habe. Von Kritikern und sogar manchen Veteranen der 68er-Bewegung werde behauptet, die Liberalisierung der Gesellschaft als Folge des Mai 68 habe zu einem „schrankenlosen Individualismus“ geführt. Es gibt allerdings auch Ausnahmen, etwa den Artikel von Jürgen Busche über Rudi Dutschke. Der Redakteur der BZ charakterisiert Dutschke als „Verkörperung der deutschen Widersprüche“. Anders als die Überschrift suggeriert, ist der darauf folgende Text jedoch Dutschke und der 68er-Bewegung äußerst wohlgesonnen, wenngleich Busche nicht alle ihre Einschätzungen, etwa über die Notstandsgesetze, teilt. Kritische Rückblicke präsentieren die in relativ großer Zahl veröffentlichten Interviews und Meinungsbeiträge von Zeitzeugen. Die ehemaligen Protagonisten – zu Wort kommen sowohl ehemalige Studenten als auch Professoren – versuchen sich häufig in einer differenzierten Bestandsaufnahme und widersprechen einigen populären Ansichten über die 68er-Bewegung. Es ist durchaus bemerkenswert, dass der Grundtenor ihrer Einschätzungen – von Ausnahmen abgesehen – sich nicht fundamental unterscheidet, obwohl die BZ offenkundig bemüht gewesen ist, ein möglichst breites Meinungsspektrum abzubilden.

Fazit:
In dem Ausmaß, in welchem „1968“ von der BZ als historisches Ereignis gewürdigt wurde, verstärkte sich auch die kritische Auseinandersetzung mit der 68er Bewegung. Ab 1998 bemühte sich die BZ um eine differenziertere Berichterstattung, in vielen Artikeln des 50. Jubiläumsjahrs schwingt immer eine tendenziell wohlwollende Haltung gegenüber „1968“ mit.

Auch 2008 findet sich in der BZ eine beträchtliche Zahl an Artikeln, die sich mit der ’68er-Bewegung und deren Auswirkungen beschäftigen. Eine Buchbesprechung stellt Literatur vor, in der Ideologie, Gesellschaftsverständnis und Sprache der Agitatoren der ’68er mit der NS-Zeit verglichen und einige Parallelen gefunden werden. Ein Artikel von Martin Halter beschäftigt sich mit der Sprache der ’68er und stellt diesen Zeitraum als wichtigen Wendepunkt für den deutschen Sprachgebrauch heraus. Dabei wird die radikale und teilweise unnötig intellektuelle Sprache der Agitatoren thematisiert, die konservative Regeln brach und zum Protest aufrief. „Sie [die Agitatoren der ’68er-Bewegung] sind nicht unschuldig an der Verhunzung des Deutschen; aber sie haben auch durch die Unterwanderung von Wörtern und die Brechung von grammatischen Regeln ‚Bewusstsein erweitert’ und ‚kontroverse Diskussionen’ provoziert, mehr sprachliche Sensibilität und Demokratie gewagt.“ Auch dieser Artikel kritisiert die radikale Einstellung der Studierenden und stellt sie teilweise als gescheitert und nutzlos dar. Erfolgreich war die 68er-Bewegung demnach nur durch den Wandel der deutschen Sprachkultur. Andere Artikel sind wohlgesonnener und schreiben der ’68er-Bewegung positive Auswirkungen auf die zukünftige Frauenbewegung zu. Es finden sich aber auch kritische Artikel, welche die ’68er-Bewegung als Vorläuferin der RAF einordnen. Darüber hinaus thematisieren Artikel über die ’68er-Bewegung die sexuelle Revolution, in der der Hang zur Natur, Selbstbewusstsein und Homosexualität eine zentrale Rolle spielten. Generell überwiegen kritische Artikel im Jahr 2008, die der ’68er-Bewegung wenige bis keine Verdienste zuschreiben, sondern sie im Gegenteil noch für Rückschritte in der Gesellschaft verantwortlich machen.

2018

Zum 50. Jubiläum im Jahr 2018 veröffentlicht die Badische Zeitung wie schon in den vorangegangenen runden Jahrestagen zahlreiche Artikel über die 68er-Bewegung. Auffallend sind die zahlreichen Beiträge von Zeitzeugen, sowohl von ehemaligen Studierenden als auch ProfessorInnen. Die Artikel sind nicht mehr so drastisch formuliert wie noch zehn Jahre zuvor und beschreiben die Bewegung teilweise sogar als charmant und frech. Die ’68er-Bewegung wird sehr viel stärker als 2008 als Wegbereiterin für eine offene, kritische und freie Gesellschaft beschrieben. Gretchen Klotz-Dutschke, die Frau Rudi Dutschkes, wird in vielen Artikeln erwähnt, zitiert und interviewt. Damit wird der Blick auf die positiven Seiten und das „Vermächtnis“ von ’68 gelenkt. Auch das Leben der Studierenden nach ’68 wird in einem Artikel beleuchtet, und es stellt sich heraus, dass die meisten von ihnen beruflich erfolgreich waren und stets politisch aktiv geblieben sind. Die Artikel haben häufig eine sehr persönliche Note; die Gelegenheit des 50. Jubiläums wurde vor allem genutzt, um die Erfahrungen der Zeitzeugen festzuhalten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Berichterstattung über die ’68er-Bewegung in der Badischen Zeitung mit voranschreitender Zeit zugenommen hat. In dem Ausmaß, in welchem „1968“ von der BZ als historisches Ereignis gewürdigt wurde, verstärkte sich auch die kritische Auseinandersetzung mit der 68er-Bewegung. Ab 1998 bemühte sich die BZ um eine differenziertere Berichterstattung, in vielen Artikeln des 50. Jubiläumsjahrs schwingt immer eine tendenziell wohlwollende Haltung gegenüber „1968“ mit.

Quellen

Artikel der Überschriftenbilder:
Lutz Krusche: Paris heute – und einst im Mai, in: BZ (11.05.1978).
Joachim Fritz-Vannahme: Als die Phantasie die Macht übernehmen wollte, in: BZ (14/15.05.1988)
Karl-Otto Sattler: Die Spuren der APO, in: BZ (9/10.04.1988)
Martina Meister: Heute schläft jeder seinen Rausch allein aus, in: BZ (11.05.1998)
Jürgen Busche: Die Verkörperung der deutschen Widersprüche, in: BZ (11.04.1998)
Halter, Martin: Begriffe und Häuser besetzt. In: BZ (02.02.2008).
Steiner, Thomas: Die 68er – ein Spiegelbild der Nazis? In: BZ (08.04.2008).
BZ (19.05.2018): 1968 – Worauf wir stolz sein dürfen
Bock, Caroline; Steiner, Thomas: Der Wortführer der Studenten. In: BZ (10.04.2018).

Literatur:
Behre, Silja: Bewegte Erinnerung. Deutungskämpfe um „1968“ in deutsch-französischer Perspektive, Tübingen 2016.

Cornils, Ingo: Writing the revolution. The construction of „1968“ in Germany (Studies in German literature, linguistics, and culture), Rochester, New York 2016.

Fahlenbrach, Katrin: Protestinszenierungen; Die Studentenbewegung im Spannungsfeld von Kultur-Revolution und Medien-Evolution, in: Klimke, Martin; Scharloth, Joachim (Hgg.): 1968. Handbuch zur Kultur- und Mediengeschichte der Studentenbewegung, Stuttgart, [u.a.]. 2007, S. 11–22.

Strobel, Jochen: Medienereignisse der 68er-Bewegung und des Terrorismus der 70er Jahre in der Gegenwartsliteratur: F. C. Delius, Ulrike Draesner, Leander Scholz, Uwe Timm, in: AugenBlick. Marburger Hefte zur Medienwissenschaft 42 (2008), S. 20–43.

Eine Crossmedia-Produktion von Studierenden der Uni Freiburg in Zusammenarbeit mit der crossmedialen Ausbildungsredaktion uniCROSS am Medienzentrum der Universitätsbibliothek Freiburg.

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